Psychische oder mentale Gesundheit ist im Grunde der Idealzustand. Ist dein sprichwörtlicher Geist gesund, kannst du deine Fähigkeiten ausschöpfen, bist produktiv und dazu in der Lage, deine normalen Lebensbelastungen zu bewältigen. Dass sich dein psychisches Wohlbefinden in deinen Gedanken widerspiegelt, erscheint plausibel. Allerdings musst du kein Psychologe oder eine Psychologin sein, um von ihnen auf deine Verfassung zu schließen.
Mentale Gesundheit: Neue Methode soll sie ergründen
In Vorbereitung einer Studie, die es im Fachjournal Scientific Reports veröffentlichte, trainierte ein Team der University of Arizona rund 78 Proband:innen darauf, ihre Gedanken zu verbalisieren. Später nahmen die Autor:innen mehr als 2.000 dieser Gedanken auf, transkribierten und analysierten diese. Im weiteren Verlauf ihrer Untersuchung stellten sie fest, dass sich daraus Rückschlüsse auf die mentale Gesundheit der entsprechenden Proband:innen ableiten ließen.
„Wir wollten die kleinen Pausen nachahmen, die wir im Laufe des Tages machen, z. B. wenn wir in einem Café in der Schlange stehen, wenn wir duschen, wenn wir nachts im Bett liegen und so weiter. Das sind alles Zeiten, in denen die äußeren Anforderungen minimal sind und die inneren Gedanken dazu neigen, sich einzuschleichen.“
Quentin Raffaelli, Doktorand an der psychologischen Fakultät der Universität von Arizona
Die Gedanken sind frei
Bei einem herkömmlichen Tiefeninterview oder einer Sitzung beim Psychoanalytiker oder der -analytikerin wird hauptsächlich mit offenen Fragen gearbeitet. Ist es nötig, wirst du sogar auf ein bestimmtes Thema gestoßen. Das aktuelle Experiment aber lässt Proband:innen mit ihren Gedanken alleine, damit sich diese möglichst intrinsisch entwickeln können.
Dass diese Momentaufnahme aufschlussreich ist, erkennt auch das Team der University of Arizona an. Allerdings sage sie nicht viel darüber aus, „wie sich Gedanken entfalten und im Laufe der Zeit verändern“.
„Um diese dynamischen Eigenschaften des Denkens zu erfassen, brauchen wir eine Methode, die Gedanken in Echtzeit und über längere Zeiträume hinweg aufzeichnet.“
Jessica Andrews-Hanna, Assistenzprofessorin für Psychologie
„Nur 10 Minuten Auszeit“ für mentale Gesundheit
Neben der Länge bestimmter Gedankengänge maßen die Autor:innen auch ihre Enge beziehungsweise Weite. So hätten grüblerische Personen etwa längere Zeit an negativen Gedanken festgehalten als an positiven. Auch seien diese negativen Gedanken mit der Zeit thematisch immer enger gefasst worden. Das Team habe in Folge dessen beobachten können, „wie manche Menschen in perseverativen Gedankenzyklen gefangen waren“, so Andrews-Hanna.
„Wir haben für diese Studie eine zufällige Gruppe von Menschen rekrutiert, ohne zu wissen, ob bei ihnen eine klinische Erkrankung diagnostiziert wurde, aber es ist erstaunlich, dass wir in nur 10 Minuten Auszeit Gedankenprozesse erfassen können, die auf viele verschiedene psychische Erkrankungen hinweisen.“
Jessica Andrews-Hanna, Assistenzprofessorin für Psychologie
Einige Proband:innen hingegen hätten die zehn Minuten als produktiv und inspirierend empfunden. Wieder andere Menschen hätten über positive Themen oder Ziele nachgedacht, die sie erreichen wollten. „Die Gedanken anderer waren sehr kreativ“, so Andrews-Hanna. „Viele Teilnehmer fanden, dass die Übung eine erfrischende Pause von der hektischen Welt um sie herum bot.“
Therapiesitzung mit sich selbst
An und für sich sei das Experiment ursprünglich nicht für therapeutische Zwecke gedacht gewesen. Allerdings betrachteten dem Team zufolge viele Teilnehmer:innen die Übungen als eine Art Therapiesitzung mit sich selbst. Sie könnten ein besseres Bewusstsein für die eigene mentale Gesundheit schaffen. Vor allem während eines Lockdowns kann eine solche Auseinandersetzung mit sich selbst wahre Wunder bewirken. „Geistige Pausen scheinen in der heutigen hektischen und abgelenkten Gesellschaft zunehmend unterschätzt zu werden“, ist sich Andrews-Hanna sicher.
Schon in der Vergangenheit haben Forscher:innen des Öfteren gezeigt, wie du auch ohne Urlaub zu machen Stress abbauen kannst.
Quellen: „The think aloud paradigm reveals differences in the content, dynamics and conceptual scope of resting state thought in trait brooding“ (Scientific Reports, 2021); University of Arizona; eigene Recherche