Viele Menschen kennen das Gefühl: Ohne es zu erwarten, erlebt oder sieht man eine Situation, die man scheinbar bereits kennt, obwohl es sich um eine gänzlich neue Erfahrung handelt. Dann kommt man sich so vor, als hätte man hellseherische Fähigkeiten. Das Phänomen des Déjà-vus macht stutzig, kommt aber recht häufig vor. Nun haben Forscherinnen und Forscher die Hintergründe zum Gegenteil näher untersucht.
Gegenstück zum Déjà-vu: Das ist das Jamais-vu
Während das Déjà-vu auch als Forschungsgegenstand schon länger und besser bekannt ist, hat ein Wissenschaftsteam die Mechanismen hinter dem sogenannten Jamais-vu jetzt genau unter die Lupe genommen. Das beschreibt den Fall, dass man etwas eigentlich sehr Vertrautes plötzlich als neu und unbekannt erlebt.
Das Jamais-vu gilt als viel seltener und unangenehmer zu erleben. Zu den genannten Beispielen gehören unter anderem ein geschriebenes Wort, das man lange anschaute, weil man Zweifel hatte, es könnte falsch sein. Auch ein Autofahrer wird erwähnt, der auf der Autobahn das eigene Fahrzeug fremd vorkam. Das Jamais-vu kann im Alltag vornehmlich durch Wiederholungen oder Starren provoziert werden.
Auch spannend: So ganz sicher ist man sich noch nicht, wie sie entstehen. Wir nennen dir drei Theorien zur Entstehung von Déjà-vus.
Wortwiederholungen bis zur Bedeutungslosigkeit
Für ihre Studie, deren Veröffentlichung 15 Jahre gedauert hat, ließen die Forscherinnen und Forscher 94 Personen dieselben Wörter so schnell wie möglich immer wieder schreiben. In einer ersten Versuchsanordnung waren es noch zwölf verschiedene Wörter mit variierendem Vorkommen im Alltag. Leute durften jedoch aufhören, wenn sie sich seltsam fühlten, gelangweilt waren oder die Hand schmerzte.
70 Prozent der Personen unterbrachen die Aufgabe aufgrund eines Jamais-vu. Dies stellte sich nach bereits einer Minute und 33 Wortwiederholungen ein – und bei besonders gewöhnlichen Wörtern. Ein zweites Experiment spitzte alles zu: Dann sollte man nur noch das Wort „the“ wiederholt aufschreiben. 55 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten wegen eines Jamais-vu auf.
Die Gründe reichten von „sie [die Wörter] verlieren ihre Bedeutung, je mehr man sie anschaute“, bis zu „es sieht nicht richtig aus und fast so, als wäre es nicht wirklich ein Wort, aber jemand hat mich dazu gebracht, es zu denken.“
Gefühl des Unrealen soll die Realität ins Bewusstsein zurückholen
Wenngleich man am Anfang der Untersuchung dachte, auf etwas Neues gestoßen zu sein, räumt man ein, dass schon 1907 ein Experiment der frühen Psychologin Margaret Floy Washburn auf Jamai-vus verwies. Nach dreiminütigem Starren auf Wörter wurden sie „seltsam, hätten ihre Bedeutung verloren und wurden fragmentiert“, wie es in einem Begleitartikel zur aktuellen Studie heißt.
Dem Team zufolge werden Bedeutungstransformationen und -verluste durch Wiederholungen stets durch das Gefühl des Jamais-vu begleitet. Dies soll ein Signal dafür sein, dass ein Prozess zu automatisch, flüssig und repetitiv abläuft – ein Prozess, aus dem wir möglichst ausbrechen sollen. Das unreale Gefühl soll in Wahrheit dafür sorgen, wieder in die Realität zu finden. Dies ist wichtig für unsere kognitiven Systeme, die möglichst flexibel bleiben und ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Dinge lenken sollen. Die Übersättigung durch einen Reiz sorgt aber dauerhaft für seine Sinnlosigkeit.
Dem Forschungsteam zufolge befindet man sich noch am Anfang des Verständnisses von Jamais-vus. Weitere Forschungen werden hoffentlich mehr Ergebnisse liefern.
Quelle: „The the the the induction of jamais vu in the laboratory: word alienation and semantic satiation“ (Memory 2021), The Conversation, „The Loss of Associative Power in Words after Long Fixation“ (The American Journal of Psychology 1907)
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