Forschende an der Yonsei University College of Medicine haben eine neue Methode entdeckt, um Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu diagnostizieren: durch die Analyse von Netzhautaufnahmen. Dabei nutzten sie maschinelles Lernen (ML) und erreichten mit ihrem besten Modell, dem sogenannten Extreme Gradient Boosting-Algorithmus (XGBoost), eine beeindruckende Genauigkeit von 96,9 Prozent. Grundlage der Studie waren Daten von 646 Kindern und Jugendlichen, jeweils zur Hälfte mit und ohne ADHS-Diagnose.
ADHS-Diagnose per Netzhaut-Scan?
Menschen mit ADHS zeigten im Rahmen der Untersuchung Veränderungen im hinteren Teil der Augen. Auffällig waren eine höhere Dichte der Blutgefäße, Unterschiede in der Gefäßbreite und spezifische Veränderungen an der Sehscheibe. Solche Anzeichen deuten darauf hin, dass Veränderungen im Gehirn auch in der Netzhaut sichtbar werden können. Die Erkenntnis basiert auf der Tatsache, dass Gehirn und Auge denselben embryonalen Ursprung haben. Dopamin, ein zentraler Botenstoff für Aufmerksamkeit und Bewegung, spielt dabei eine entscheidende Rolle, sowohl im Gehirn als auch in der Netzhaut.
Zur Analyse der Netzhautbilder setzten die Forschenden die AutoMorph-Pipeline ein, die automatisch relevante Merkmale extrahierte. Sie testeten vier verschiedene Modelle des maschinellen Lernens und fanden heraus, dass ein einziges Foto ausreicht, um eine zuverlässige ADHS-Diagnose zu stellen. Diese Methode könnte klassische Verfahren wie die Elektroenzephalografie (EEG) oder Magnetresonanztomografie (MRT) ergänzen oder in vielen Fällen sogar ersetzen, da sie schneller, günstiger und leichter zugänglich ist.
Darüber hinaus nutzten die Forschenden die Bildanalyse, um Defizite in der exekutiven Funktion (EF) zu untersuchen, insbesondere in der visuellen Aufmerksamkeit. Die Modelle konnten Beeinträchtigungen der visuellen Aufmerksamkeit deutlich besser vorhersagen als Einschränkungen im auditiven Bereich. Wenn bei dir also Schwierigkeiten in der Konzentration oder Aufmerksamkeit bestehen, könnten schon kleine Veränderungen in der Netzhaut Hinweise darauf liefern. Die Verbindung zwischen visueller Verarbeitung und kognitiver Steuerung bei ADHS erscheint enger als bisher angenommen.
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Bedingte Aussagekraft
Trotz aller Erfolge gibt es Einschränkungen: Die Studie konzentrierte sich hauptsächlich auf Kinder im Durchschnittsalter von neun Jahren, weshalb offen bleibt, ob die Methode bei Jugendlichen oder Erwachsenen ebenso zuverlässig funktioniert. Zudem wurden Teilnehmende mit anderen neurologischen Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ausgeschlossen. Erste Tests zeigten, dass es für die künstliche Intelligenz schwierig war, ADHS klar von ASS zu unterscheiden, was den Nutzen als alleiniges Diagnoseinstrument einschränkt.
Trotz dieser Hürden bietet die neue Methode enormes Potenzial für die ADHS-Diagnose. Millionen von Nutzenden sowie Nutzerinnen und Nutzern könnten in Zukunft von schnelleren und präziseren Diagnosen profitieren. Für viele bedeutet das, schneller die passende Unterstützung zu finden, sei es in Schule, Beruf oder im sozialen Umfeld. Vielleicht wird ein einfacher Blick in deine Augen bald ausreichen, um eine klare Antwort auf wichtige Fragen rund um deine Aufmerksamkeit und Impulsivität zu erhalten.
Quelle: „Retinal fundus imaging as biomarker for ADHD using machine learning for screening and visual attention stratification“ (npj Digital Medicine, 2025)
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