Alle Welt spricht von Roboterautos, VW-Chef Matthias Müller rollt stolz in der selbstfahrenden Studie „Sedric“ auf die Bühne. Gewöhnungsbedürftig, aber es macht schnell Spaß, urteilt der Konzernchef. Aber gemessen daran machen sich die Roboterautos auf der diesjährigen Automesse IAA in Frankfurt eher rar.
Auffällig ist vor allem das „New-Mobility“-Außenareal, auf dem Testwagen unermüdlich vor Hindernissen bremsen und emsig Fußgängern aus Pappe ausweichen. Deutlich wie nie zuvor wird auf der Messe in Frankfurt, dass die Branche voll in den Kampf um die Zukunft einstiegen ist, in der autonomes Fahren heutige Geschäftsmodelle der Hersteller erschüttern kann.
Der Schlüssel für den Wandel sind vor allem Mobilitätsdienste, die mit der Ausbreitung selbstfahrender Robotaxis durchstarten können. Doch das heutige Geschäft mit dem Fahrzeugverkauf an Verbraucher und Firmen könnten sie abwürgen. „Wenn man jederzeit in ein autonom fahrendes Fahrzeug einsteigen kann, dann braucht man kein Auto mehr für die Stadt“, sagt Branchenexperte Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture. Dagegen sagt Ralph Lauxmann, beim Zulieferer Continental verantwortlich für die Entwicklung des autonomen Fahrens, es werde weiterhin auch Privatfahrzeuge geben.
Weniger Fahrzeuge, größere Auslastung
Setzt man die Roboterautos effizient ein – ohne die heute normalen langen Stehzeiten – sind allerdings viel weniger von ihnen nötig. „Wir haben Simulationen gemacht für die Berliner Innenstadt: Wenn wir auf selbstfahrende Autos umstellen, brauchen wir nur ein Siebtel der heutigen Fahrzeugflotte“, sagt der für Digitalisierung zuständige VW-Manager Johann Jungwirth. Das müsse aber nicht unbedingt schlecht für die Auslastung der Herstellerfabriken sein: „Durch die höhere Nutzung werden die Fahrzeuge alle zwei Jahre getauscht – die heutige Lebensdauer eines Autos liegt bei 15 Jahren.“
Doch mit dem Vormarsch der Mobilitäts-Apps stehen die Autobauer vor der nächsten Frage: Wie pflegt man in dieser neuen Welt seine Marke? Achtet noch irgendjemand, der heute ein Ticket für einen Kurzstreckenflug kauft, darauf, ob er in einer Maschine von Boeing oder Airbus sitzt? Den Unterschied machen eher Preisklasse und Service der Airline aus. Wird das in Zukunft bei Mobilitätsdiensten anders sein?
Einige Experten warnen, dass vor allem die Marken der Massenhersteller austauschbar zu werden drohen. Fachmann Stefan Bratzel sagt, nicht mehr das Fahrzeug, sondern die Mobilitätsdienstleistung werde künftig entscheidend sein. „Es besteht die Gefahr, dass man als Hersteller in der Wertschöpfungskette als Zulieferer zurückfällt.“ Er spricht von einer „disruptiven“ Technologie.
Wer gewinnt die Datenhoheit
„Die spannende Frage am Ende des Tages ist: Wer verdient wo Geld und wer hat den Kundenzugang“, sagt Accenture-Experte Schmidt. „Wer den Kundenzugang hat, sitzt an der Quelle und kann die Services bestimmen oder beeinflussen.“ Hier kommen die Anbieter der beiden großen Smartphone-Plattformen ins Spiel: Google mit Android und Apple mit dem iOS-System seiner iPhones. Beide bieten mit den Smartphone-Integrationen Android Auto und CarPlay eine Alternative zu den Service-Welten, die auch deutsche Hersteller gerade mühevoll mit Start-up-Übernahmen und eigener Software zusammenzimmern. „Wenn Dienste wie Parking-Apps über Apple, Google oder andere Anbieter laufen, weil man eh das Smartphone in der Hand hat, dann sind diese Service-Erlöse für den Hersteller verloren“, sagt Schmidt.
Auch auf diese Herausforderung reagieren die Hersteller unterschiedlich. Während die meisten – mitunter zähneknirschend – auf Kundendruck Apple und Google in immer mehr Modellen in ihre Infotainment-Systeme reinlassen, bleibt Toyota hart: Die Tech-Firmen bleiben draußen. „Wir haben als Branche zwei Optionen: Jemand kommt und stellt die Software für die Kiste, die wir produzieren. Oder wir behalten die Kontrolle über unsere Zukunft“, sagt Toyota-Manager Didier Leroy. Nicht allen werde letzteres gelingen, aber Toyota wolle es unbedingt schaffen.
Bei der Technologie für autonomes Fahren setzt die Branche bisher lieber auf eigene Entwicklungen – statt die Freundschaftsanfrage der Google-Schwesterfirma Waymo anzunehmen, die auf Erfahrungen mit Roboterwagen seit 2009 verweisen kann.
Autoindustrie gegen Silicon Valley
Daimler und BMW bauen eigene Mobilitätsdienste auf, heute unter anderem mit den per App buchbaren Mietwagen von Car2Go und DriveNow am Straßenrand. „Das ist das Car2Go der Zukunft“, verkündet Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der IAA, als er das Konzept eines elektrischen Smart-Robotaxis präsentiert. In drei-vier Jahren sollen die Robotaxis auf der Straße sein, bekräftigte Daimler-Manager Michael Hafner in Frankfurt. Mit dem klaren Ziel, im tatsächlichen Stadtverkehr und nicht in abgesicherten Umgebungen zu fahren.
Die Autobauer werden in diesem Geschäft auf scharfen Wettbewerb etwa von Uber stoßen. „Es kann in einer Region nur ein Mobilitätsanbieter nachhaltig überleben“, sagt Accenture-Mann Schmidt. Audi gibt die Hoffnung nicht auf, das Verkaufsmodell in die Roboterwagen-Zukunft zu retten. Und um die Insassen nicht an die digitalen Assistenten der Tech-Konzerne – Siri, Alexa, Google Assistant und Co – zu verlieren, will Audi in seinen Autos die eigene sprechende Software PIA etablieren.
Vollautomatisierung in 30 Jahren
Zugleich gilt weiter die Einschränkung mit Blick auf die Zukunft: „wenn es denn so kommt“. Immer noch ist nicht sicher, wie schnell die Systeme zu vertretbaren Preisen auf dem Massenmarkt sein werden. Auch ein Roboterwagen-Experte wie der frühere Waymo-Chefentwickler Chris Urmson zeigte sich jüngst überzeugt, dass mindestens 30 Jahre vergehen werden, bis der Verkehr komplett autonom läuft. Wie schnell gewöhnen sich die Nutzer daran? VW-Chef Müller ist sicher: „Die Zeit wird’s richten.“