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Ich bin dann mal off: Digitale Diät und ihr Ausmaß

Experimente zur digitalen Entwöhnung gehen hin bis zu Digital Detox Camps. Forscher erkennen einen Gegentrend zur Smartphone- und Social-Media-Sucht.

Auch wenn es die Stuttgarter Zeitung ist und nicht futurezone.de – digitale Entwöhnung kann gut tun. Foto:

Dauerhafter WLAN-Ausfall in der Ferienanlage in der Dominikanischen Republik. Die Münchnerin Julia Bauer, die sich von ihrem Job als Chefredakteurin bei einem Online-Magazin erholen wollte, befiel leichte Panik. Schließlich bezeichnet sie sich als „Smartphone-Abhängige“. Doch dann ließ die 30-Jährige sich auf die neuen Umstände ein, legte das Handy gleich ganz in den Safe – und erlebte die Entspannung ihres Lebens.

„Ich wusste nicht, welche Superkräfte mir der Offline-Modus verleihen würde“, erzählt sie. „Ich las sieben Bücher in sieben Tagen, spielte stundenlang Beachvolleyball und fand den schönsten Strand, indem ich mich durchfragte. Plötzlich stellte sich eine ungeahnte Seelenruhe ein, eine Hingabe für die Erlebnisse vor meinen Augen.“

Gegenbewegung zur Erregungskultur

Achtsamkeit nennt man dieses bewusste Verweilen im Hier und Jetzt, ein bereits strapazierter Begriff aus dem Buddhismus. „Seit zwei oder drei Jahren taucht er überall auf“, sagt Zukunftsforscher Matthias Horx. Doch das Wort steht für eine an Fahrt aufnehmende Gegenbewegung zur „allgegenwärtigen Erregungskultur, in der wir durch Smartphone und Social Media jederzeit mit jedem verbunden sind“, so das Ergebnis seiner neuen Trendstudie.

Dem „ständigen Reizklima“ setzten die Menschen neue Lebenskonzepte entgegen: Spiritualität etwa, soziales Engagement, Rückzug ins Private. 78 Prozent der Deutschen nutzen ein Smartphone, 80-mal am Tag greifen wir zum Handy, ergab eine internationale Studie von Apple. Bei einem achtstündigen Schlaf heißt das: alle zwölf Minuten. 20 Prozent der 13- bis 19-Jährigen, so eine andere Studie, schauen auch während der Nachtruhe aufs Handy.

Botenstoffe mit jeder neuen Smartphone-Nachricht

Doch warum ergeben wir uns so der Allmacht des Smartphones und sozialer Medien? Das lernpsychologische Prinzip des Konditionierens führe uns in eine Sucht, erklärt Psychologin und Autorin Gisela Kaiser („Appst du schon oder lebst du noch?“, Koehlers-Verlag). „Jede neue Botschaft unseres Smartphones sorgt dafür, dass im Gehirn Botenstoffe ausgeschüttet werden. Dadurch fühlen wir uns mit der Welt verbunden und wohl“, sagt sie. „Wie die Hunde im berühmten Experiment von Pawlow werden wir alle auf diese Stimuli dressiert.

Auf eine geniale Weise haben es Großkonzerne geschafft, tief menschliche Bedürfnisse nach Nähe und Verbundenheit zu nutzen.“ Wie jede Sucht führe die Gier nach Likes dabei aber ins Leere. Auch Bauer musste erkennen, dass die Verheißungen des Smartphones sich ins Gegenteil verkehrten. Sie glaubte, durch das iPhone Zeit sparen zu können: Tickets unterwegs zu bestellen, statt Schlange zu stehen, GPS zu nutzen, statt nach dem Weg zu fragen. Doch es schuf neue Bedürfnisse: „Instagram, Fitnesstracker, Ernährungstagebuch, Mediathek, Dauerchat … Das habe ich vor Besitz des Dings nicht gebraucht, bilde mir aber ein, jetzt nicht mehr ohne zu können.“

Digital Diät im Camp

Ihr Fazit: Das Smartphone nimmt mehr Zeit, als es spendet. Wie Forscher Horx sieht auch Psychologin Kaiser den Zenit der ständigen Erreichbarkeit überschritten: Viele Menschen spürten, dass sie dieses Multitasking nicht auf Dauer durchhalten können, und suchten Heilung. „Man sammelt wieder Schallplatten, gründet Buchklubs, meditiert.“ Für den Entzug gibt es Hilfe: Die Betriebswirtin Ulrike Stöckle etwa bietet deutschlandweit Seminare zur digitalen Entwöhnung an. Die Teilnehmer lernen systematisch, sich handyfreie Zeiten zu nehmen.

Der Gruppenreisen-Veranstalter Intrepid Travel organisiert „Digital Detox Trips“ nach Marokko, Indien oder in die Mongolei. Es geht auch weniger exotisch: Die Steiermark listet auf ihrer Website idyllische Berghotels für den Offline-Urlaub. „Steck aus und schalt ab“, so der Slogan. Bauer hat ihre eigene Methode gefunden, Urlaubsfeeling zu schaffen. „Dazu reicht es, das Handy für ein paar Stunden in einen anderen Raum zu legen.“ Und sie hat sich Armbanduhr und Wecker gekauft. Zum ersten Mal in ihrem Leben.

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