Mehr als zehn Millionen Menschen nutzen jeden Monat das Internet, um nach Bekanntschaften, Liebe oder Sex zu suchen – Online-Dating ist längst ein Massenphänomen. Auch ist es nichts Ungewöhnliches mehr, wenn aus einem Netz-Kontakt eine feste Beziehung, eine Ehe oder Kinder entstehen. Trotzdem gilt es für viele Paare immer noch als Makel, wenn sie sich im Netz kennengelernt haben.
Zum Tag der virtuellen Liebe (24. Juli) – ein Tag, der die Akzeptanz der Online-Partnersuche erhöhen soll – haben wir mit der Berliner Paartherapeutin Daniela Bernhardt (53) über Chancen und Risiken des Online-Datings gesprochen.
Kann man sich in ein Online-Profil verlieben?
Bernhardt: Absolut. Nicht nur in ein Profil, sondern auch in die Idee, die man damit verbindet. Das kann natürlich auch passieren, wenn man sich im realen Leben kennenlernt, aber es ist öfter bei Online-Paaren der Fall. Es ist ja wissenschaftlich erwiesen, dass im Verliebtheitszustand so einiges außer Kraft gesetzt ist. Unter anderem ist ein Gebiet, das nicht so richtig verlässlich funktioniert, die Menschenkenntnis. Verliebtheit findet im Gehirn übrigens im selben Bereich statt wie eine Kokainsucht. Sowas merken dann die Freunde, aber die beiden selbst kriegen das im Taumel der Endorphine gar nicht mit, weil sie es auch nicht mitkriegen wollen.
Hört sich so an, als ob Sie Paare, die sich online kennengelernt haben, leicht erkennen.
Bernhardt: Das sind Fälle, bei denen sich beide ganz viel Hoffnung gemacht haben und mit der rosaroten Brille eine Person den jeweils anderen oder die ganze Sache verklärt haben. Die waren dann am Anfang vielleicht noch happy, aber letztendlich hat man sich nur in eine Halluzination verliebt.
Spielt die Art des Kennenlernens eine Rolle für die Beziehung?
Bernhardt: Das würde ich schon sagen. Die ganze Anbahnungs- und Kennenlernkultur hat sich durchs Netz sehr verändert. Viele sind gar nicht mehr in der Lage, normal zu flirten oder jemanden anzusprechen. Das wird virtuell gemacht, da ist man dann auch ein bisschen sicherer, da tut ein Korb auch nicht ganz so weh. Auf der anderen Seite ist das Ganze dadurch ja auch schnelllebiger. Es wird viel schneller die Flinte ins Korn geworfen und eine Beziehung beendet oder gar nicht erst angefangen, es sind ja genug andere in der Warteschleife.
Würden Sie sagen, Tinder und Co. machen unser Beziehungsleben kaputt?
Bernhardt: Auf keinen Fall. Ich bin sogar Fan davon, dass es diese Möglichkeiten gibt. Vielleicht jetzt nicht unbedingt Tinder oder andere Apps, wo ich einfach nur so durchscrolle. Aber andere Dating-Plattformen können durchaus helfen, weil auch darauf geachtet werden kann, ob es zwischen zwei Menschen passen könnte. Allerdings würde ich das nie der Plattform allein überlassen.
Wie meinen Sie das?
Bernhardt: Wenn ich wirklich jemanden für eine Beziehung suche, sollte ich mir vorher Gedanken machen. Was will ich überhaupt? Was passt zu mir? Wer gezielt auf eine etwas anspruchsvollere Dating-Plattform geht, der stellt sich die Frage schon mal eher als jemand, der nur nebenbei im Vorübergehen ein bisschen nach rechts und links wischen will.
Wie sollte mein Dating-Profil dann aussehen?
Bernhardt: Es sollte nicht darum gehen, möglichst viele Zuschriften zu bekommen, sondern vielleicht nur die eine, die passt. Das Profil sollte als Filter funktionieren, klar machen, was ich suche und was nicht. Und auch beim ersten Telefonat kann man wichtige Sachen einfach mal kurz abchecken. So kann man sich ganz viele blöde Dates sparen. Das gilt im Übrigen auch für Tinder, falls man dort einen ernsthaften Partner sucht.
Glauben Sie, dass Bezahl-Portale wie zum Beispiel Elite-Partner oder Parship für die Beziehungssuche besser funktionieren als Tinder?
Bernhardt: Das glaube ich schon, ja. Ich denke, Tinder ist super, um schnell Leute kennenzulernen, vielleicht mal kurzfristig ein paar Dates zu haben, flirten zu lernen. Auch um mal zu schauen: Wie ist mein Attraktivitätslevel? Aber bei den anderen Portalen ist Chance höher, dass zwei Menschen aufeinander treffen, die sich ernsthaft Gedanken gemacht haben.
Glauben Sie, dass es immer noch als Makel gilt, wenn man sich online kennengelernt hat?
Bernhardt: Ich denke, dass es immer noch viele so sehen. Genauso wie noch immer wenige Leute eine Paartherapie aufsuchen. Aber ich glaube auch, dass sich das langsam aufweicht. Gerade das Flirten über Tinder ist schon relativ gesellschaftsfähig geworden. Zumindest mal taugt es immer öfter für eine gute Story.
Und immer mal wieder auch für Stories von Seitensprüngen.
Bernhardt: Die werden für die einfacher, die bewusst danach suchen. Die sind aber meiner Erfahrung nach klar in der Unterzahl. Die überwiegende Mehrheit rutscht eher nach und nach da rein. Es ist kein Geheimnis, dass die sexuelle Anziehung zwischen Paaren nach einiger Zeit abnimmt. Dann kommt nicht mehr die Beziehung an erster Stelle, sondern vielleicht der Job oder die Kinder. Doch Sex ist etwas, an dem man arbeiten darf und muss. Wenn einer oder beide denken, das wird schon irgendwie, das geht auch ohne, wird es schnell gefährlich. Und wenn dann noch jemand dazu kommt, auf der Arbeit zum Beispiel, der ganz nett ist und bei dem man sich mal wieder geschmeichelt fühlt, dann passieren Dinge, die später schwer bereut werden.
Unterm Strich: Online-Dating ist eigentlich gar nichts Schlimmes.
Bernhardt: Es immer die Frage, wie die Menschen damit umgehen. Ich kann mit einem Brotmesser eine Scheibe Brot abschneiden, ich kann aber auch jemanden umbringen, um es mal übertrieben darzustellen. Insgesamt halte ich Online-Dating für eine große Chance.