Auf der Waldorf School of the Peninsula in Los Altos, Kalifornien, wird noch gelehrt und gelernt wie vor 30 Jahren. Gemäß der circa hundert Jahre alten Waldorf-Philosophie, sollen die Schüler dort durch physische Aktivitäten und kreative Werkarbeiten lernen.
Technologie an Schulen: dafür oder dagegen?
Um den Lernerfolg nicht zu behindern, sind Computer an der Waldorf School of the Peninsula verboten, wie unter anderem die New York Times berichtet. In den Augen der Schule beeinflussen Computer und technologische Gadgets das kreative Denken, die körperlichen Bewegungen, die menschlichen Interaktionen und die individuelle Konzentrationsspanne der Schüler negativ.
Die Schule sieht sogar die Nutzung technologischer Mittel zuhause nicht gerne. Lediglich ab der achten Klassenstufe befürwortet sie einen eingeschränkten Gebrauch technischer Geräte. Sie geht somit komplett gegen den Trend: Während die meisten Schulen in den USA versuchen, technologisch aufzurüsten, bietet die Waldorfschule in Los Altos dem Paroli.
Ann Flynn, die Direktorin des Nationalen Schulgremiums der USA, hält Computer in Schulen wiederum für essentiell. Andere Experten meinen, dass die Rechner dazu beitragen, die Aufmerksamkeit der Schüler zu behalten aber auch, dass Schüler, die an elektronische Mittel gewöhnt sind, ohne sie nicht richtig dabei wären.
Flynn sieht die Sache so: „Wenn Schulen Zugang zu den Geräten haben und sie sich leisten können, sie aber nicht benutzen, dann betrügen sie so unsere Kinder.“ Die Waldorf-Eltern jedenfalls finden, dass wahres Engagement sich durch tolle Lehrer und interessante Lehrpläne auszeichnet.
Eltern im Tech-Konzern, Kinder auf der Non-Tech-Schule
Interressanterweise schicken viele Eltern, die bei den Tech-Riesen des Silicon Valley wie Google, Facebook, Apple oder Yahoo arbeiten, ihre Kinder auf die Waldorf School of the Peninsula. Derzeit haben drei Viertel der Schüler Eltern, die bei einem Tech-Konzern arbeiten.
Alan Eagle etwa ist Kommunikationsmanager bei Google und schreibt unter anderem Reden für den Vorsitzenden des Unternehmens, Eric E. Schmidt. Eagle sagt: „Die Idee, dass eine App auf einem iPad meinen Kindern besser Lesen oder Arithmetik lehren kann, ist lächerlich.“ Er selbst nutzt zwar ein iPad und ein Smartphone, ist aber sicher, dass seine Tochter, die in der fünften Klasse ist, noch nicht weiß, wie man Google benutzt.
Auch andere Tech-Mitarbeiter wie etwa Apple-CEO Tim Cook sehen den Einsatz von Technologie zum Lernen und im Alltag kritisch. Cook sagte bei einem Vortrag: „Ich glaube nicht an einen übermäßigen Einsatz von Technologie. Es gibt immer noch Ideen, über die gesprochen werden muss, die verstanden werden müssen.“ Zudem eröffnete er, dass er versuche, seinen Neffen von sozialen Netzwerken fernzuhalten.
Justin Rosenstein, der Miterfinder des Like-Buttons bei Facebook, hat sogar Kindersicherungen auf seinem eigenen Handy installiert, um zu verhindern, dass er sich Apps herunterlädt. Die Auswirkungen sozialer Medien auf die Menschen sieht er mit großer Sorge. Bei Microsoft-Gründer Bill Gates zuhause gibt es für Sprösslinge unter 14 Jahren kein Smartphone und für alle herrscht ab einer bestimmten Uhrzeit Bildschirmverbot, damit sie besser schlafen.
Stricken und Brüche-Kuchen
An der Waldorf School of the Peninsula wird der Umgang mit Technologie nicht gelehrt. Vielmehr lernen die Kinder dort Problemlösung, Verknüpfungen verstehen, Mathe-Fähigkeiten und Koordination, indem sie beispielsweise Socken stricken. Eine andere Übung ist das Rezitieren von Versen, während man im Kreis steht und sich Sandsäckchen zuwirft. Das soll die Synchronisation von Körper und Gehirn fördern.
Die Lehrerin Cathy Waheed sagt, sie lehre gerne Brüche, indem sie Essen wie Äpfel oder Kuchen mitbringt und es die Kinder zerteilen lasse, erst in Hälften, dann Viertel und so weiter. „Wenn genug Brüche-Kuchen für alle da sind, meinen Sie, ich hätte da nicht die Aufmerksamkeit der Kinder?“ fragt sie.
Keine messbaren Vorteile bei beiden Positionen
Experten widersprechen sich in ihren Einschätzungen. Manche sagen, der Trend, Klassenzimmer mit Technik auszustatten, sei unbegründet. Es gäbe keine Studien, die bewiesen, dass Technik in Schulen zu besseren Ergebnissen in Klassentests oder anderen messbaren Leistungssteigerungen führe.
„Normale“ Schulen mit Waldorfschulen zu vergleichen, ist jedoch schwierig. Letztere verwenden als Privatschulen zum Beispiel keine standardisierten Tests. Zudem machen sie kein Geheimnis daraus, dass ihre Schüler der niedrigeren Klassen schlechter bei diesen Tests abschneiden.
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Gut situierte Eltern und viele Privatschulen
Die Gesellschaft der Waldorfschulen in Nordamerika weist darauf hin, dass 94 Prozent ihrer Absolventen zwischen 1994 und 2004 nach dem Abschluss ein College besucht haben, viele von ihnen berühmte Colleges wie Oberlin, Berkeley oder Vassar. Diese Zahlen überraschen mitunter weniger, wenn man bedenkt, dass Waldorfschüler häufig aus Familien kommen, die Wert auf Bildung legen und die finanziellen Mittel haben, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken.
Ein anderes Argument, das Mr. Eagel und andere Eltern vorbringen, ist, dass es leicht sei, sich Computerskills anzueignen. „Bei Google und diesen ganzen Unternehmen, arbeiten wir daran, Technologie so idiotensicher wie möglich bedienbar zu machen. Es gibt keinen Grund, weshalb Kinder das nicht herausbekommen sollten, wenn sie älter sind“, erklärt Eagle.
In Kalifornien gibt es derzeit überdurchschnittlich viele Waldorfschulen und solche, die einen Waldorfansatz verfolgen, offiziell aber keine Waldorfschulen sind. Die Waldorfschul-Erfahrung ist jedoch nicht günstig. Im Schnitt zahlt man im Silicon Valley für solche Privatschulen für den Kindergarten bis zur Grundschule 17.750 US_Dollar (circa 14.2074 Euro). Die Highschool kostet sogar durchschnittlich 24.400 US-Dollar (19.5302 Euro) jährlich.
Kinder selbst kritisieren Umgang mit Technik
Die Schüler selbst stimmen ihren Eltern zu. Sie sehnen sich nicht nach Technologie, sind ihr aber auch nicht gleichgültig gegenüberegestellt. Ein Mädchen berichtet in der New York Times, dass ihr Vater, der als Entwickler bei Apple arbeitet, sie manchmal Spiele testen lässt, die er für den Konzern verbessert. Ein anderer Junge spielt am Wochenende gerne Flugsimulator-Programme.
Manche Kinder berichten, dass es sie manchmal frustriert, wenn Eltern oder Verwandte ständig am Smartphone hängen. Ein Junge erläutert: „Dann sage ich: Hallo Leute, ich bin auch noch hier!“ und wedelt mit den Armen. Ein weiterer Junge verdeutlicht, er könne mit Papier und Stift seine Fortschritte besser nachverfolgen: „Man kann zurückblicken und sehen, wie krakelig die eigene Handschrift in der ersten Klasse war.“
Mr. Eagles Ansicht nach stellt die Tatsache, dass seine Kinder auf eine technologiefreie Schule gehen, obwohl er selbst in der Branche arbeitet, keinen Widerspruch dar. Ihm nach habe alles seine rechte Zeit und seinen rechten Ort. „Wenn ich bei Miramax arbeiten würde und einen guten, künstlerisch wertvollen Film ab 16 gemacht hätte, würde ich auch nicht wollen, dass meine Kinder sehen, bevor sie 16 sind.“
Debatte um Technologie in Schulen auch in Deutschland
Laut eine Studie sehen in Deutschland mehr als die Hälfte der Lehrer beispielsweise die mangelhafte Internetgeschwindigkeit an ihren Schulen als Hindernis für die Lehre. Das Ministerium für Bildung und Forschung versucht durch Strategien wie „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“, eine verantwortungsvolle Nutzung von Technologie zu Bildungszwecken zu fördern.
Dennoch zeigte eine Studie von 2014, dass deutsche Schüler im internationalen Durchschnitt nur im Mittelfeld sind, was ihre technologischen Fähigkeiten angeht. In der Studie wurde auch auf Risiken von Technologie in einem Lehrumfeld eingegangen. Dazu würden die Gefahren von medialer Zerstreuung, Cybermobbing und „digitalem Exhibitionismus“ zählen. Alles in allem ist die Debatte um den richtigen Grad der Technologisierung von Schulen und den richtigen Umgang damit, auch in Deutschland noch längst nicht gelöst.