Smart City, Smart Mobility und Smart Country sind die Schlagworte, um die sich auf der ersten Arnsberger Zukunftskonferenz am 5. März 2018 alles dreht. Dabei geht es vor allem um das Leben und Arbeiten in der Stadt der Zukunft, vernetzte Mobilität als Baustein der Infrastruktur und mögliche Chancen für ländliche Regionen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. In Diskussion treten dazu verantwortliche Akteure aus der Politik, der Wirtschaft und den Kommunen, um die Frage zu beantworten, wie man gemeinsam Strategien für eine zukunftsorientierte Entwicklung einzelner Regionen erarbeiten kann.
Auf dem umfangreichen Programm stehen unter anderem die folgenden Schwerpunkte:
- Smart City – Wie gestalten Kommunen die Herausforderungen der Digitalisierung auf dem Weg zur Stadt der Zukunft?
- Europa 2030 im Zeichen der Digitalisierung
- Die Rolle der Energiewirtschaft bei der Entwicklung von Smart Cities
- Estlands Erfolgsstrategien im Digitalisierungsprozess
Präsentiert werden diese unter anderem von den folgenden Rednern:
- Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft
- Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des BDEW, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.
- Wolfgang Bosbach, Politiker und langjähriges Mitglied des Bundestages
- Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU)
- S.E. Dr. William Mart Laanemäe, Botschafter der Republik Estland
Den Auftakt geben Karlheinz Weißer, Geschäftsführer der Stadtwerke Arnsberg, Ralf Paul Bittner, Bürgermeister der Stadt Arnsberg, und Dirk Wiese, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Live-Ticker zur Konferenz:
Die Begrüßung der Gäste durch Karlheinz Weißer, Geschäftsführer der Stadtwerke Arnsberg, beginnt unter dem Motto „Zukunft ist das, was wir daraus machen“, denn die „Smartness“ einer Region ist längst zum Standortfaktor im Wettbewerb geworden. Wertewandel und Digitalisierung werden die zwei großen Herausforderungen der Zukunft sein, die Stadt als Lebensraum wird zunehmend von der Digitalisierung erfasst – genauso wie alle Bereiche unseres Lebens und Handelns.
Deutschland muss digital mehr an Fahrt gewinnen
Dirk Wiese, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wagt den bundesweiten Blick: Deutschland stand bei der Digitalisierung in den letzten Jahren nur im Mittelfeld. Er betont, dass Platz 11 nicht unser Anspruch sein kann, auch wenn noch viel zu tun bleibt. Gerade der Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, müsse laut Wiese den digitalen Wandel schaffen. Dabei dürften die Möglichkeiten von Industrie 4.0 in Deutschland nicht aus den Augen gelassen werden. Der Nutzen solcher Lösungen für industrielle Geschäftsmodelle liege auf der Hand. Und auch die Kooperation innovativer Start-ups mit dem Mittelstand ist es Wert, vorangebracht zu werden. Wiese betont, dass Deutschland deutlich mehr an Fahrt gewinnen muss, gerade weil die Digitalisierung klare Chancen bietet.
Die Smart City soll mehr Lebensqualität bieten und Bürger einbinden
Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) eröffnet die Keynote „Smart City – Wie gestalten Kommunen die Herausforderungen der Digitalisierung auf dem Weg zur Stadt der Zukunft?“ mit der Feststellung, dass digitale Kommunikation und digitales Lernen beeinflussen, wie wir alltägliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse abwickeln, auch Verwaltungsaufgaben. Städtische Gemeinden sind dabei ein Testfeld, auf dem Digitalisierung vor Ort sichtbar, lebbar und realisierbar wird. Am Ende geht es in der Smart City um Infrastruktur, Energieeffizienz, Ressourcenschonung, und bürgerfreundliche Verwaltung, sprich Lebensqualität. Smart City meint aber auch die Regionen, denn die Lösungen betreffen nicht nur Stadtbewohner, sondern ebenso die Pendler, Verkehre, den wirtschaftlichen Austausch und den Tourismus.
Fünf Punkte sind laut Reiche wesentlich, um eine Smart City zu schaffen:
- Digitale Infrastrukturen: leistungsfähiges Breitband, ein schnelles Glasfasernetz, IoT und branchenübergreifende Vernetzung über Sensoren, 5G als Übertragungsstandard, öffentliches WLAN, intelligente Energienetze, Smartmeter
- Smart City-Strategie: „einfach mal anfangen“, Pläne, wer vernetzt werden muss, welche Partner gebraucht werden und wer zusammen gehört, zum Beispiel Verwaltung-Bürger, Public Sector-Private Sector; eine Fehlerkultur gehört dazu (Scheitern muss erlaubt sein), zwar besteht ein Versorgungsauftrag von 24 Stunden am Tag/ sieben Tage die Woche, aber es sollte auf die Innovationskultur von Start-ups (in Lösungen, nicht in Problemen denken) vertraut werden
- Digitale Datenplattform: Die Bürger schützen vor der Weitergabe ihrer Daten (Vorbild Estland)
- Weiterentwicklung der Daseinsvorsorge: zum Beispiel eine zuverlässige Breitbandversorgung
- Daten als Wirtschaftsgut: Ohne Daten geht in der Smart City nichts. Wie ist die Nutzung der Daten geregelt? Klarheit schaffen in Deutschland, wer welchen Gesetzen unterliegt
Reiche betont, dass der Erfolg einer Smart City nicht von ihrer Größe abhängt, sondern von Agilität und Flexibilität. Wenn außerdem die Bürger einer Stadt das Gefühl haben, dass sie angemessen beteiligt werden, kann eine Smart City funktionieren.
Investitionen in die digitale Bildung
In die Menschen zu investieren, sei das wichtigste Ziel für sie, sagt Mariya Gabriel, die EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer Rede. Einige wichtige Ziele seien zwar schon erreicht worden, wie das Zugänglichmachen von 5G-Internet sowie die Abschaffung des Geoblockings. Doch wichtig, damit Europa weiterhin auf dem digitalen Mark besteht, sei es, mehr qualifiziertes Personal für den Technologie- und Digitalsektor auszubilden und bei den Jüngsten anzufangen. Der Digital Education Action Plan will dieses Ziel bis 2020 erreichen. Er soll die digitalen Fähigkeiten in den Schul-Lehrplänen verankern und so die Kinder und Jugendlichen in dem Bereich noch fitter machen.
Auch mögliche Risiken der Digitalisierung sprach sie in diesem Zuge an. Dazu zählt Gabriel unter anderem die sogenannte Hate Speech, außerdem mehr Armut, mehr Peripherisierung und Ausschließung. Gegen diese Risiken sollten die Politik ebenso wie die Arbeitgeber entgegenwirken, damit die Digitalisierung für alle eine Chance darstelle.
Welche Rolle spielt die Energiewirtschaft bei Smart Cities?
Direkt nach der Mittagspause eröffnet Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, den Fachvortrag zur Rolle der Energiewirtschaft: Warum ist die Energiewirtschaft eigentlich ein Treiber der Entwicklung von Smart Cities? Er beantwortet diese Frage damit, dass am Ende dieses Jahrhunderts 80 Prozent der Bevölkerung in urbanen Regionen wohnen werden, was große Herausforderungen bedeutet. Wie werden beispielsweise Mobilität und Sicherheit organisiert und wie lässt sich der demografische Wandel meistern? Es muss abgesteckt werden, wer die Dienstleistungen aufsetzt, auf die Bürger und Bürgerinnen in diesem Umfeld Anspruch erheben.
Drei Gründe, die Energieversorger laut Kapferer zu den zentralen Playern im Bereich Smart Cities machen:
- Dienstleistungen der Zukunft werden immer stärker auf Strom basieren (Energieversorger sind dafür die ersten Ansprechpartner)
- Energieversorger sind im Normalfall der Betreiber der notwendigen Netzinfrastruktur (eine vernetzte Smart City der Zukunft benötigt Infrastrukturen)
- Viele Energieversorger brauchen zukünftig auch neue Geschäftsmodelle
Welche Herausforderungen stehen den Energieversorgern dabei bevor?
- Auch bei den Kunden verändert sich etwas (der sogenannte „Prosumer“ verbraucht, erzeugt aber auch selbst)
- Flexibilität und Volatilität des Systems (oder eines dezentralisierten Systems)
- Big Data (andere große Player, wie die Telekom, tummeln sich auf dem Energiemarkt, um den Zugang zum Kunden und die neuen, zukünftigen Datenmengen zu nutzen)
Das auf der anderen Seite wichtigste neue Spielfeld für die Energieversorger ist Kapferer zufolge die Mobilität in der Smart City. Aber auch das Smart Home in den urbanen Räumen: Sicherheit, Komfort und demografischer Wandel werden eine bedeutende Rolle spielen. Hier können die Energieversorger in den Angriffsmodus übergehen und anderen dort beheimateten Akteuren Konkurrenz machen.
Es braucht allerdings die Bereitschaft, diese Dinge neu anzugehen. Das Problem: Bürger erwarten von ihrem lokalen Partner die Erbringung bestimmter Dienstleistungen in der Smart City, auf der anderen Seite hat die Komplexität dieser deutlich zugenommen. Nicht jedes Unternehmen wird sich dafür einen Chief Digital Officer leisten können. Deshalb ist Kooperation nötig. Kommunale Unternehmen und Start-ups aus der neuen Welt können diese eingehen. Dabei ist keine Angst nötig, und es findet auch keine Kannibalisierung statt, so Kapferer weiter. Im Gegenteil besteht die Chance, etwas zu bewegen. Und was den Start-ups fehlt, die wirtschaftliche Expertise, ist ein Asset der Energieversorger, das genutzt werden sollte.
Vorreiter Estland: So wird es richtig gemacht
S. E. Dr. William Mart Laanemäe, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Estland, gibt Einblicke in die sehr weit entwickelte digitale Gesellschaft Estlands. Zunächst sei es nicht richtig zu denken, dass sich der Bürger der Verwaltung anpassen solle, sondern umgekehrt muss sich die Verwaltung nach den Bedürfnissen der Bürger richten. In Estland habe man das im Prinzip geschafft, denn man hat verstanden, was man eigentlich will und dies auch gesetzlich verankert. Es gäbe zwar drei Dinge, die selbst in Estland nicht digital zu erledigen sind (heiraten, sich scheiden lassen und Immobiliengeschäfte). Alles andere gehe aber auf dem digitalen Weg. Laut Laanemäe hängt das nicht mit einer anderen Denkweise bei der Gesetzgebung in Estland zusammen – seit 77 Jahren haben Bürger in Estland in verschiedenen Formen das deutsche Recht verfolgt – es hängt davon ab, was man erreichen will und wie man dorthin kommt. Eines seiner zentralen Argumente: Das Internet ist ein Teil unserer Welt und unseres Lebens, das bedeutet dass alle Regeln, die in der analogen Welt gelten, auch im Netz Gültigkeit haben müssen.
Aber was genau wurde nun in Estland gemacht? Die Dienstleistungen der Verwaltung und die Dienstleistungen der Wirtschaft wurden miteinander verbunden. Mittlerweile gibt es solche digitalen Verbunde sogar grenzübergreifend. Da Estland beispielsweise wirtschaftlich stark mit Finnland verknüpft ist, erschien es sehr sinnvoll, dass die Verwaltungen beider Länder miteinander kommunizieren können. Jetzt ist es möglich, ein finnisches Rezept für Medikamente in Estland einzulösen und umgekehrt. Das ist der Grundgedanke der digitalen Verwaltung in Estland. Es ist ein System, dem sich jeder anschließen kann.
Dabei besteht das System aus verschiedenen Servern, anstelle einer großen Einzeldatei, in der jeder Bürger erfasst ist. Innerhalb dieses einfachen Portals kann jeder Bürger sehen, was er hat und was nicht. Zugriff gibt es darüber zum Beispiel auf Dienstleistungen im Bereich digitaler Gesundheit, Rentenversicherung, Familienangelegenheiten (Kindergeld etc.), Steuer, persönlicher Informationen wie Passnummern, Immobilien, Krankenkasse (in Estland gibt es keine Gesundheitskarte, diese kann aber für das europäische Ausland bestellt werden) etc.
In Estland ist der Mensch Laanemäe zufolge übrigens Eigentümer seiner Daten. Jedesmal wenn sich jemand die eigenen Daten ansieht, muss er sich digital ausweisen, d.h. ein Bürger kann nachvollziehen, wann sich jemand und wer sich seine Daten angesehen hat. Entdeckt er etwas Verdächtiges, kann er das sofort der Polizei melden. Bisher gab es aufgrund dieser Transparenz bereits Fälle, in denen Ärzte ihre Lizenz wegen unberechtigtem Zugriff verloren haben oder Polizisten aus dem gleichen Grund belangt worden sind. Für die Zukunft gäbe es dennoch noch Vieles, das getan werden müsse, um die Nutzung für den Bürger weiter zu automatisieren, das Leben für Unternehmer einfacher zu machen, die Schulbildung weiter zu digitalisieren und grenzüberschreitende Dienstleistungen auszubauen.
Laanemäe weiß: Ohne Datenschutz und Cybersicherheit gibt es kein freies Internet. Da Esten Eigentümer ihrer Daten sind und sich alle identifizieren müssen, funktioniert das System gut. Transparenz auf der einen Seite und die immer hinterlassenen digitalen Spuren sorgen dafür. International liegt Estland auf Platz 5 bei der Cybersicherheit, in Europa ist es Nummer eins. Alle Daten befinden sich dabei offiziell in Estland, die Server stehen in Luxemburg (man musste einen offiziellen Staatsvertrag abschließen). Ganz ohne Menschen gehe es aber trotzdem nicht, wie Laanemäe aus eigener Erfahrung berichten kann. Jüngst half ihm eine Beamtin am Telefon bei einem Fehler in seiner Steuererklärung.
Das Programm der Arnsberger Zukunftskonferenz
- 09:30 KEYNOTE: Industrieland NRW – Aufbruch im Zeichen der Digitalisierung (Nathanael Liminski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen)
- 10:00 KEYNOTE: smart city – Wie gestalten Kommunen die Herausforderungen der Digitalisierung auf dem Weg zur Stadt der Zukunft? (Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU))
- 11:00 KEYNOTE: Europa 2030 im Zeichen der Digitalisierung (Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft)
- 11:30 DISKUSSIONSRUNDE: Digitale Wirtschaft und Gesellschaft der Zukunft – Chancen und Risiken der neuen Technologien (Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft; Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D.; Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesministerin der Justiz; Birgit Riess, Direktorin der Bertelsmannstiftung; Petra Pientka, Geschäftsführerin Gebrüder Nolte GmbH & Co. KG)
- 12:15 KEYNOTE: NRW Industrie 4.0 im internationalen Kontext (Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik Brücke, Rechtsanwalt)
- 13:30 FACHVORTRAG: Die Rolle der Energiewirtschaft bei der Entwicklung von smart cities (Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft)
- 14:00 DISKUSSIONSRUNDE: smart country trifft Industrie 4.0 in Südwestfalen (Hans-Josef Vogel, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Arnsberg; Johannes Huxol, Mitglied des Vorstands der TRILUX-Gruppe; Andreas Rother, Präsident der IHK-Arnsberg; Dr. Volker Verch, Geschäftsführer Unternehmensverband Westfalen-Mitte e. V.; Hubertus Winterberg, Geschäftsführer Südwestfalen Agentur GmbH; Franz-Reinhard Habbel (Moderation), langjähriger Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Initiator und Leiter des InnovatorsClub)
- 15:00 FACHVORTRAG: Estlands Erfolgsstrategien im Digitalisierungsprozess (S.E. Dr. William Mart Laanemäe, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Estland)
- 16:00 FACHVORTRAG: Einfach machen – Wie die Post zur E-Mobilität kam. Ein best practice Beispiel für regionale und lokale Akteure (Dr. Jörg Salomon, Vice President Streetscooter Deutsche Post AG)
- 16:30 PODIUMSDISKUSSION: Einführung der Techniker Krankenkasse in das Thema
- 16:45 Gespächsrunde zum Thema: Herausforderungen der Digitalisierung im Sport und ihre Auswirkungen auf das Gesundheitswesen mit den Talkgästen Wolfgang Bosbach und Neven Subotic
- 17:45 Ende der Zukunftskonferenz