Edan ist ein Roboter, der aus einem Arm und einer Hand besteht. Ein Fingernagel ist rot lackiert. Er kann die Bettdecke zurückschlagen, Getränke in Gläser gießen oder Fahrstuhlknöpfe drücken. Edan reagiert auf Muskelreflexe, die von einem Menschen ausgehen, der im Rollstuhl sitzt.
Es hat zehn Jahre gedauert, bis dies gelang. Wissenschaftler des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Pfaffenhofen haben Edan entwickelt. Er könnte Pflegebedürftigen künftig zur Seite stehen. Gemeinsam mit einem zweiten Modell – Justin – soll der Roboter in ein Altenheim der Caritas einziehen.
„Smile“ heißt das Projekt, mit dem die Akzeptanz der Helfer durch die Bewohner getestet werden soll. Wie reagieren sie, wenn nicht mehr Menschen aus Fleisch und Blut die Medikamente bringen, sondern Maschinen? Auch das Heimpersonal soll beobachten, ob es mit den neuen Mitarbeitern funktioniert. Bayern fördert das Projekt mit sechs Millionen Euro.
Zahl der Pflegebedürftigen wird stark ansteigen
Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit auf Pflege angewiesen. Bei 1,3 Millionen kümmern sich ausschließlich die Angehörigen um die Pflege. Sie tun das unter extrem belastenden Bedingungen. Oft neigen sie zu körperlicher und finanzieller Selbstausbeutung. 78 Prozent der Pflegenden sind Frauen. Sie haben ein deutlich erhöhtes Krankheits- und Armutsrisiko. Weitere 700.000 Menschen leben noch in ihren vier Wänden, werden aber mithilfe von Pflegediensten betreut. Knapp 780.000 Männer und Frauen sind auf ständige Hilfe angewiesen, sie leben im Heim.
Bis 2030 soll die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland auf 3,6 Millionen ansteigen, bis 2050 auf fünf Millionen. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte. Laut Angaben der Bundesregierung sind es aktuell bereits mindestens 36.000, Tendenz steigend.
Staat und Kirche arbeiten zusammen
„Die Pflege braucht neue Impulse“, sagt Georg Falterbaum, Caritasdirektor in der Erzdiözese München/Freising. Der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche hat dem Robotereinsatz in seinem Heim zugestimmt – in Garmisch-Partenkirchen, einer Stadt mit besonders vielen Senioren. „Wir sind so alt wie Deutschland in 20 Jahren“, sagt Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD). Edan und Justin, die Roboter, seien Teil einer Zukunftsvision für die Stadt. Staat und Kirche haben sich dafür zusammengetan.
Bürger sehen Technik in der Pflege als Chance
Die Zukunft der Pflege ist ein großes Thema. Kaum eine Sorge treibt die Menschen mehr um als jene, im Alter auf Hilfe angewiesen zu sein. 82 Prozent haben Angst, gepflegt werden zu müssen – acht von zehn Befragten. Grund dafür sind Annahmen und schlechte Nachrichten über den Zustand einer Problembranche. Über Zeitnot, Ökonomisierung, Unterfinanzierung und Verwahrlosung.
Niemand will nach einem langen, erfüllten Leben, nach Unfall oder Krankheit dahinsiechen – oder den Angehörigen zur Last fallen. Wohl auch deshalb steigt in Deutschland die Bereitschaft, auf Technik zu setzen. Und das in einem Land, das bisher nicht dafür bekannt ist, die Digitalisierung zu bejubeln.
Die Mehrheit der Bürger jedenfalls (64 Prozent) sieht Technologien in der Pflege mehr als Chance denn als Problem, wie eine Studie im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) ergab. 65 Prozent bewerten den Einsatz von Robotern als positiv, wenn sie Menschen nach einem Sturz helfen. 60 Prozent befürworten deren Einsatz beim Zubettgehen oder Aufstehen. 74 Prozent glauben, Bedürftige könnten durch technische Systeme ein selbstbestimmteres Leben führen.
Digitalisierung in der Pflege findet bereits statt
„Im Gesundheitswesen selbst, aber vor allem für viele politische und wirtschaftliche Akteure wird die Digitalisierung häufig als ein Lösungsansatz für die Herausforderungen und Probleme dargestellt, denen sich moderne Gesellschaften stellen müssten – den demografischen Wandel, den Fachkräftemangel und die Finanzierungsproblematik“, schreibt Mario Daum. Er hat im vergangenen Jahr für die DAA-Stiftung Bildung und Beruf maßgeblich an einer Studie zum Thema „Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland“ mitgearbeitet.
Festgestellt hat er, dass „Digitalisierung und Technisierung in der Pflege bereits in größerem Umfang stattfinden, als dies in der breiten Öffentlichkeit registriert wird.“ In der vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologie würden ebenso Chancen gesehen wie in Hilfssystemen zur Überwachung von Blutdruck, Puls oder Mobilität. Es geht um Videosprechstunden, Gesundheits-Apps, Diagnosen durch Algorithmen. Lediglich der flächendeckende Einsatz von Robotern in Kliniken und Pflegeheimen stehe noch aus, so Daum.
Technik könnte Pflegern mehr Freiraum geben
Dass dieser irgendwann kommen wird, legen Bedarf, Einstellungen und Erfahrungen nahe. In Stuttgart etwa wurde bereits ein Pflegeroboter getestet, der Heimbewohner über eine Kamera erkennt und mit Namen ansprechen kann. Es gibt Bring- und Holdienstleister, Kuschelmaschinen für Demente oder Wegweiser. Sie heißen Hospi, Pepper oder Paro.
„Technische Systeme können sehr wohl zu Erleichterungen in der Pflege führen, etwa von körperlich belastender Arbeit entlasten“, sagt Uwe Ploch von der DAA-Stiftung. Auch er hat an der Studie mitgearbeitet. Und natürlich werde damit die Hoffnung verbunden, den Pflegern mehr Freiraum zu schaffen für das, was zählt: Zuwendung, Trost, Menschlichkeit.
Datenschutz- und Technikprobleme
Wie groß der Beitrag der Technik zur Pflege in Deutschland sein wird, ist aber offen. Laut ZQP gibt es noch eine „Reihe von Problemen“ – datenschutzrechtliche, aber auch technische. Allein zu programmieren, dass Roboter auf Berührung reagieren und zurückweichen, um Menschen nicht zu gefährden, hat dem DLR zufolge Jahre gedauert. Maschinen Dinge beizubringen, bleibt eine komplizierte Sache. Extremer Rechenleistungen und künstlicher Intelligenz zum Trotz .
Technisierung braucht Investitionen
Für die DAA-Stiftung gibt es aber auch noch andere Fragen, die sich beim Blick in die Zukunft stellen: „Es ist nicht gesagt, dass die durch Technisierung geschaffenen Freiräume dazu genutzt werden, um den Pflegeprozess beziehungsreicher zu gestalten. Vielleicht führt dies auch zur weiteren Verdichtung des Arbeitsalltags oder zu immer neuen Dokumentationspflichten“, sagt Ploch.
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Zudem brauche Technisierung erhebliche Investitionen, Pflegeroboter Justin etwa kostet in der günstigen Variante etwa 60.000 Euro. Ploch: „Die Frage ist, ob die Gesellschaft entscheiden wird, dass ihr menschenwürdiges Altern mehr Geld wert ist, als sie gegenwärtig ins System einspeist. Diese Debatte steht noch aus.“