Man nehme die Autostadt Wolfsburg, die großen E-Sports-Turniere, das DFB-Pokalfinale oder das Rihanna-Konzert im Olympiastadion. Was kommt da zusammen? Es sind Erlebniswelten in großem Stil, die heutzutage immer überdimensionaler, immer beliebter und vor allem immer vernetzter werden. Wo früher die einfache Shopping Mall die menschliche Gier nach Erlebnissen schürte und zu befriedigen versuchte, reicht sie heute lange nicht mehr aus. Wir wollen mehr – und sind gleichzeitig von der Vielzahl an Erlebnissen übersättigt, so scheint es.
Der Soziologe Gerhard Schulze definierte dieses Dilemma bereits 1992. Bis heute hat es nichts von seiner gesellschaftlichen Relevanz verloren. Im Gegenteil: Die digitale Erlebnis-Industrie erweitert diesen Trend um ein enormes Ausmaß. Die Deutsche Telekom beispielsweise demonstriert zunehmend, was mit den Breitbandanschlüssen und 250 Megabit pro Sekunde pro Haushalt möglich sein soll – ein allerdings noch recht eigennütziges Versprechen des Providers.
Der Fan soll selbst entscheiden
Dafür arbeitet er mit Partnern zusammen, zum Beispiel dem Smart Mobile Labs, kurz SML. Das Start-up aus München bewegt sich im Video-Tech-Bereich mit dem als zukunftsweisend propagierten neuen Mobilfunkstandard 5G. Es will das weltweit erfolgreichste Unternehmen für die Übertragung von Inhalten in Echtzeit werden. Das Ziel für den Kunden dahinter: Ein nahtloses Erlebnis zwischen realer und digitaler Welt. Ein Konzertbesucher, Fußball- oder E-Sports-Fan im Stadion soll mit der Technologie selbst entscheiden können, wann er was aus welcher Perspektive und mit welchen Zusatzinfos sieht.
Wir haben mit Andreas Westhoff, CEO von SML, gesprochen. Der Unternehmer war zuletzt beim Auf- und Ausbau von Tech-Unternehmen, insbesondere aus dem Bereich Navigation, digitaler Content und Telekommunikation tätig. Im Gespräch verrät er, warum 5G nicht von einem Tag auf den anderen da sein wird, warum die Asiaten einmal wieder schneller sind als die Deutschen und wieso nicht einmal die Telekom an „das nächste große Ding“ gedacht hat.
futurezone: Die Eventkultur hat zugenommen. Ich habe das Gefühl, obwohl wir immer mehr Erlebnisse wollen, sind wir gleichzeitig schon davon übersättigt.
Das stimmt wohl. Ich habe drei Kinder, die sind 16, 18 und 21 Jahre alt. Unter ihnen ist das Erlebnis und das Erlebnis-Teilen-Können die wichtigste soziale Währung. Was sie erleben und nicht auf Instagram oder Snapchat teilen können, hat kaum mehr einen Wert für sie.
Das klingt nicht so schön.
Natürlich, aber es gibt ja immer zwei Seiten. Wenn die Online-Kommunikation dazu führen würde, dass wir nur noch online kommunizierten, wäre das traurig. Bei Menschen, die schon von Haus aus nicht so richtig offen und kommunikativ sind, könnte dieses Verhalten sogar verstärkt werden. Wenn ich jede Form von Online-Kommunikation nur nutze, um mich zu isolieren, dann ist das schlecht.
Wenn ich sie aber nutze, um meinen Horizont zu erweitern, ist das grandios. Heute zockt mein Sohn online mit Menschen in Chile, Nordamerika und Malaysia gleichzeitig, chattet parallel mit ihnen und erfährt Sachen, die er sonst gar nicht mitkriegen würde.
Was fehlt am sozusagen herkömmlichen Erlebnis, um uns zufriedenzustellen? Und welches Mehr an Erlebnis kann 5G konkret schaffen?Die Frage ist nicht vor dem Hintergrund „heutiger” Konsumbedürfnisse zu betrachten, vielmehr steht das Medienverhalten der kommenden Generationen im Mittelpunkt. Unbestritten bleibt: Beim Event – egal ob Sport oder Musik – dreht sich alles um Emotionen. Jedoch schauen Millenials während eines Live-Events 30 Prozent der Zeit auf ihr Mobile Device, quasi als Second Screen-Erlebnis oder zum Sharen der einzigartigen Momente.
- Die Unterschiede zwischen 4G, 5G und LTE im Überblick
- Live-Demo der Telekom: Europapremiere für 5G in Berlin
- IEEE 5G Summit: Weltweite Standards für 5G gefordert
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese Lücke im Entertainment zu schließen und mittels 5G die digitale und die reale Welt zu verbinden. Sozusagen der User Experience ein Upgrade zu ermöglichen.
Smart Mobile Labs will solche Erlebnisse in großem Ausmaß schaffen. Und ihr wollt das weltweit erfolgreichste Unternehmen für die Übertragung von Inhalten in Echtzeit werden. Das klingt ganz schön gewaltig. Wie ist so etwas zu schaffen?
Das ist zwar ambitioniert, aber machbar. Wir fokussieren uns ausschließlich auf Datenübertragung über das Mobilfunknetz – alles, was über Webseiten oder anderes übertragen wird, ist für uns nicht relevant. Wir machen zum Beispiel Live Sports cooler.
Jeder kennt die lästige Situation beim Public Viewing: Du sitzt in einer Kneipe und in der Kneipe links daneben schreien sie schon „Tor!“, aber bei dir ist noch gar nichts passiert. Und in der Kneipe rechts daneben schreien sie drei Sekunden später. Je nachdem, ob der Übertragungsweg Satellit, Kabel oder Stream ist, unterscheiden sich die Latenzzeiten teilweise gewaltig.
Wir glauben, das ist eine Schwachstelle, die wir mit unserem Produkt – sprich Videoübertragung in Echtzeit mit unbegrenzt vielen Sendern und Empfängern gleichzeitig – maßgeblich verbessern können. Wir sind der Überzeugung, dass sich die Art und Weise, wie Videos konsumiert werden, in naher Zukunft verändern und unsere Technologie diesem Wandel den Weg ebnen wird.
Was könnt ihr mit eurer Technologie und euren Partnern für jemanden wie mich schaffen?
Klar ist: Wir machen kein direktes Consumer-Produkt – unsere Kunden sind unter anderem Telefongesellschaften sowie Betreiber von Sport- und Eventstätten. Die Technologie von Smart Mobile Labs ist in Venues vertreten, also Hallen, Stadien oder Rennstrecken, deren Publikum dann unsere Front-Row-App nutzen kann. Der Name leitet sich von der Erfahrung ab, die der Zuschauer mit der App hat: Von der Tribüne aus kann er seine ganz eigenen Kameraeinstellungen aussuchen und verschiedene Sachen aus verschiedenen Perspektiven auf seinem Smartphone ansehen – ganz wie aus der ersten Reihe.
Beispielsweise das Gitarrensolo in der Nahaufnahme, obwohl man hundert Meter entfernt von der Bühne ist. Oder wenn du beim E-Sports-Event deinem Lieblings-Gamer beim Spielen über die Schulter schauen willst.
Bei einem Formel 1-Event wäre es dasselbe: Was nützt es, nur das zu sehen, was auf den großen Bildschirmen jeder verfolgen kann? Heute wollen Fans ganz nah an ihren Idolen sein.
Im asiatischen Raum ist die VR-Projektion bei Events, etwa von Popkünstlern ins Zuhause der Fans, bereits bei einer breiteren Masse angekommen. In Deutschland ist es noch etwas völlig Neues.
Ja, das ist tatsächlich so. Deutschland ist mit seinem LTE-Netz noch immer ein Entwicklungsland. Wir sind auf Platz 52 der großen Industrienationen und damit hinter Peru. Das ist auch einer der Gründe, warum im letzten Jahr 90 Prozent unserer Projekte und Umsetzungen in Asien statt hierzulande stattgefunden haben. „Habe ich Netz?“ ist dort gar keine Frage.
Ich komme aus einem kleinen Dorf, wo schon 3G-Empfang eine Seltenheit ist. Ist 5G nicht also eine Art Elite-Standard, der in ländlichen Regionen gar nicht erreicht werden kann?
Realistisch gesehen wird es so sein, dass der Ausbau zuerst dort stattfinden wird, wo die höchste Nachfrage besteht, weil es in einem Ballungszentrum oder einer Industrieansiedlung gebraucht wird. Das ist ein kaufmännisches Gesetz.
Wünschenswert ist natürlich irgendwann eine hundertprozentige Netzabdeckung, allerdings werden vermutlich zuerst Großstädte wie München, Berlin oder Hamburg mit der nötigen Infrastruktur ausgestattet. Einfach gesagt: Der Bedarf für 5G ist im BMW-Werk in Dingolfing zunächst einfach höher, als in ländlicheren Regionen mit einer geringeren Einwohnerdichte.
Das Warten darauf ist vielleicht auch der Grund, weshalb Kritiker glauben, bei 5G handle es um eine reine PR-Masche.
Möglich. Das ist allerdings nicht der Fall. Ganz sicher wird 5G nicht von einem Tag auf den anderen einfach da sein. Es wird eher eine sanfte Migration geben von 4,5 zu 4,8G und irgendwann zu immer mehr Funktionalität. Man wird das natürlich, weil es ein großes Werbeschlagwort ist, vielleicht schon als 5G verkaufen.
Aber 5G ist tatsächlich ein riesiger technologischer Fortschritt. Die Qualität des Netzes und das, was es zulässt, steigt damit exponentiell. Alleine, was wir an Datenmengen werden übertragen können, grenzt an das bis zu Hundertfache von heute.
Aber es ist wichtig, dass es schnell kommt. Es gibt schließlich unfassbar viele Branchen, die erst dann wirklich den großen Evolutionsschritt machen können, wenn 5G da ist. Alles, was mit dem autonomen Fahren zu tun hat, funktioniert erst mit der Kapazität und Latenz von 5G. Alles, was IoT-Anwendungen und Industrie 4.0 betrifft, ebenfalls.
Und dann soll es gleichzeitig auch noch weniger kosten? Wer zahlt das am Ende?
Das ist eine schwierige politische Frage. Wenn Deutschland beschließen sollte, dass es den maximalen Erlös aus der Versteigerung der Frequenzen haben will, führt das im Umkehrschluss dazu, dass diese Milliarden fehlen, um das Netz so schnell wie möglich auszubauen.
Es wird entscheidend sein, dass die Bundesregierung oder die Bundesnetzagentur dazu Stellung nehmen, zum Beispiel so: Irgendwie muss Geld erlöst werden, aber es geht nicht darum, den Maximum-Profit herauszuholen. Lieber sollten die Operatoren verpflichtet werden, den Ausbau in einem bestimmten Zeitraum zu einer bestimmen Qualität zu garantieren. Das wäre viel wichtiger, um das Land in dieser Entwicklung nach vorne zu bringen.
Und wenn Bundesregierung und Bundesnetzagentur nicht Stellung beziehen?
Diese Konsequenzen möchten wir nicht bewerten.
Bliebe noch die Gefahr der Monopolbildung. Dass wieder die Telekom das Monopol auf Kabel und Frequenzen hat und Wettbewerb de facto nicht möglich sein wird.
Es ist klassisch die Aufgabe der Bundesnetzagentur, das zu verhindern. Gerade was 5G angeht, gibt es sehr viele starke Interessenverbände außerhalb der Telekommunikation. Zum Beispiel gibt es die 5GAA – 5G Automotive Association – unter der sich alle wichtigen Automobilhersteller und –zulieferer zusammengetan haben, um zu sagen: Wir wollen zu der Standardisierung von 5G beitragen, weil nicht nur die Operatoren entscheiden sollen. Ich fürchte kein Monopol.
Alexander Lautz, Senior Vice President 5G bei der Telekom, drückt es so aus: 4G war „Touch the Internet“, 5G ist „Feel the Internet“. Was soll danach noch kommen?
Keine Idee. Sicher entscheidend mehr Automatisierung. Davor habe ich auch überhaupt keine Angst. Ich sage immer ganz plakativ: Ein Job, den ein Roboter besser machen kann als ich, ist kein Job für mich. Ich möchte lieber etwas machen, bei dem ich dem Roboter überlegen bin.
Auch das Thema autonomes Fahren ist aus meiner Sicht ein Traum. Mich hinten ins Auto setzen zu können, dort zu arbeiten oder einen Film zu schauen oder was auch immer zu machen und mich nicht selber durch München quetschen zu müssen, das ist eine wunderbare Vorstellung.
Was wäre das für dich persönlich bestmögliche Erlebnis mit 5G?
Assistenzsysteme zum verbesserten Fahren, denke ich. Stell dir vor, du fährst auf einer Landstraße einem Lkw hinterher und weißt nicht, ob du ihn überholen kannst. Mit einem Kamerabild des Lkw kannst du quasi durch ihn hindurchsehen.
Wenn ich mir die Zahl der tödlichen Unfälle bei Überholvorgängen anschaue, dann weiß ich, dass ich mit einer solchen Funktionalität diese Zahl quasi gegen Null gehen würde. Das finde ich superspannend – und es wäre mit unserer Technologie tatsächlich möglich.
Daneben kann ich mir jede Art des Live-Erlebnisses vorstellen, das in Zukunft noch viel cooler wird. Nur eine Atmosphäre allein reicht irgendwann nicht mehr aus. Das heißt, wenn ich ein Erlebnis für den Einzelnen intensiver mache, wird es auch eine großartigere Erfahrung für alle zusammen.
Andreas, vielen Dank für das Gespräch!