Die CDU/CSU und die SPD verhandeln gerade über eine neue Regierung – und zwar in insgesamt 16 Arbeitsgruppen. Das Verhandlungspapier der Arbeitsgruppe 1: Innen, Recht, Migration und Integration hat es dabei besonders in sich. Geplant ist eine große „Sicherheitsoffensive“, bei der das Verhältnis zwischen Datenschutz und staatlicher Überwachung neu bestimmt werden soll. Behörden sollen zum Beispiel wieder IP-Adressen und Portnummern speichern dürfen – auch ohne konkreten Anlass. Gerichte hatten solche Maßnahmen schon als verfassungswidrig eingestuft, aber das scheint die Parteien nicht zu stören.
Mehr Überwachung – und zwar überall
Künftig sollen Behörden auch KI nutzen dürfen, um öffentlich zugängliche Bilder im Netz automatisch auszuwerten. Dahinter steckt die Idee einer umfassenden Gesichtserkennung im Internet. „Für bestimmte Zwecke sollen unsere Sicherheitsbehörden […] den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz, vornehmen können“, heißt es dazu in dem durch Netzpolitik.org veröffentlichten Papier.
Auch die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und das automatische Scannen von Autokennzeichen sollen ausgeweitet werden. Solche Maßnahmen würden tief in deine Privatsphäre eingreifen und stehen teils im Widerspruch zum europäischen Datenschutzrecht.
Staatliche Überwachung soll künftig zudem noch tiefer in digitale Kommunikation eingreifen dürfen. Staatstrojaner sollen verstärkt eingesetzt werden, und Kommunikationsdienste könnten gezwungen werden, verschlüsselte Inhalte an Behörden weiterzugeben. „Wir verpflichten zudem die Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Einzelfall zur Entschlüsselung und Ausleitung von Kommunikationsinhalten“, heißt es dazu. Damit wäre der Weg frei für eine EU-weite Chatkontrolle – eine Maßnahme, die von vielen als hochproblematisch für die Privatsphäre eingestuft wird.
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„Möglichkeit für einen dauerhaften Ausreisearrest“
Auch bei der Migrationspolitik schlägt das Papier einen deutlich härteren Ton an. Obwohl dort betont wird, das Grundrecht auf Asyl bleibe „unangetastet“, ist von Schutz wenig zu spüren. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll ausgesetzt, Aufnahmeprogramme für gefährdete Gruppen wie afghanische Ortskräfte beendet werden. Die Koalition will zudem „das Ziel der ‚Begrenzung‘ der Migration zusätzlich zur ‚Steuerung‘ – wieder ausdrücklich in das Aufenthaltsgesetz aufnehmen“.
Für abgelehnte Asylsuchende sind drastische Maßnahmen geplant: „Wir wollen eine Möglichkeit für einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung schaffen.“ Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sollen wieder stattfinden – zunächst bei Straftäter*innen. Auch wer „Konflikte auf deutschem Boden austrägt“, könnte abgeschoben werden. Was damit konkret gemeint ist, bleibt vage.
Zugleich sollen rechtsstaatliche Schutzmechanismen abgeschwächt werden. Der verpflichtende Rechtsbeistand für Menschen im Abschiebeverfahren soll abgeschafft werden. Im Papier steht: „Den verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung schaffen wir dabei ab.“ Die Bundesregierung will künftig auch Visa, Entwicklungszusammenarbeit und Handel als Druckmittel gegenüber Herkunftsstaaten nutzen, um Rückführungen durchzusetzen.
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Mehr Kontrolle, weniger Schutz
Beim Schutz vor digitaler Gewalt greifen SPD und Union Vorschläge von Fachleuten auf. Deepfakes und die nicht-einvernehmliche Verbreitung intimer Bilder sollen strafbar werden. Auch sogenannte Stalking-Apps sollen reguliert werden: „Hersteller von Tracking-Apps sollen verpflichtet werden, das Einverständnis der Gerätebesitzerinnen und -besitzer regelmäßig abzufragen.“ Zusätzlich sollen elektronische Fußfesseln und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings eingeführt werden – laut Papier „nach dem sogenannten Spanischen Modell“.
Allerdings bleibt der Blick auf betroffene Gruppen begrenzt, wie Netzpolitik.org anmerkt: Im Kapitel „Gewalt gegen Frauen“ wird nicht darauf eingegangen, dass auch trans*, nicht-binäre und andere marginalisierte Gruppen häufig betroffen sind. Parallel dazu plant die CDU eine Rücknahme der Cannabis-Teillegalisierung, was Millionen Nutzer*innen erneut kriminalisieren könnte. Insgesamt zeigt der Entwurf einen klaren Fokus: Mehr Überwachung, mehr Kontrolle, weniger Schutz – sowohl im digitalen Raum als auch bei Menschen auf der Flucht.
Wichtig: Es handelt sich bei dem Papier nicht um den finalen Koalitionsvertrag, sondern um ein Zwischenergebnis aus einer von insgesamt 16 Arbeitsgruppen, die jeweils themenspezifisch Vorschläge erarbeiten. Diese Entwürfe bilden die Grundlage für die Endverhandlungen, in denen alle offenen Punkte und Kompromisse auf Spitzenebene geklärt werden. Man kann das Papier also als Blaupause für den späteren Koalitionsvertrag sehen – und gleichzeitig als politisches Signal, in welche Richtung sich die neue Bundesregierung bewegen will.
Quelle: Netzpolitik.org
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