Während eines Auftritts im russischen Staatsfernsehen kam es bereits vor einigen Monaten zu einer unerwarteten Wendung, als der Gast, der Politikwissenschaftler Aleksandr Sytin, die wahren Ziele von Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg offenlegte. Er sprach schon im März nicht von bloßer Selbstverteidigung, sondern von weitreichenden expansionistischen Ambitionen. Seine Aussagen verursachten live spürbare Unruhe. Obwohl der Moderator Andreij Norkin versuchte, zur offiziellen Linie des Kremls zurückzukehren, konnte er die entstandene Debatte nicht beruhigen.
Ukraine-Krieg mit „sicherem Expansionskurs“
Der YouTube-Kanal Russian Media Monitor teilte den Vorfall und zeigte in seinem Video eine seltene Abweichung von der Kreml-Linie. Trotz Norkins Bemühungen, die Diskussion zu lenken, führten Sytins Worte zu einer abrupten Sendepause.
In Wirklichkeit kümmere sich niemand um die Ukraine, betonte Syntin. „Sie haben folgendes Ziel: Russland befindet sich auf einem sicheren Expansionskurs, das ist eine Tatsache. Übrigens nicht nur in der Ukraine. Die NATO-Länder, die europäischen Länder wollen diesen Expansionskurs irgendwie stoppen. Sie haben aber kein Konzept, wie sie das bewerkstelligen sollen.“
Der Kreml hält daran fest, dass der Ukraine-Krieg der Verteidigung gegen NATO-Erweiterung und dem Schutz russischer Souveränität dient. Allerdings hat Russland kürzlich bestätigt, dass es bereit ist, diesen Krieg langfristig zu führen und die besetzten Regionen Donezk und Luhansk vollständig zu kontrollieren
Auch Norkin versuchte, an diesem Narrativ festzuhalten und fiel dem Politikwissenschaftler ins Wort: „Es geht nicht um eine Expansion, sondern um die Verteidigung nationaler Interessen und damit um die Verteidigung unserer eigenen Sicherheit. Wir sollten wirklich eine Pause einlegen. Lassen Sie uns nach einer kurzen Pause weitermachen.“
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Putins Ideologie der „traditionellen Werte“ und Abgrenzung zum Westen
Putin nutzt inzwischen verstärkt eine Ideologie, die die russische Gesellschaft durch traditionelle Werte stärkt und sich gegen den „moralischen Verfall“ des Westens stellt. Diese neue Ideologie, die von einigen als „Putinismus“ bezeichnet wird, hebt Russland als „Bollwerk der Zivilisation“ hervor und sieht in westlichen Einflüssen eine Bedrohung für die Gesellschaft.
Dabei inszeniert sich Putin als Verteidiger traditioneller Familienwerte und ermutigt die Bevölkerung, sich gegen den Einfluss der westlichen Kultur zu wehren.
„Russland wird alles tun, um einen globalen Konflikt zu vermeiden, aber gleichzeitig werden wir uns von niemandem bedrohen lassen. Unsere strategischen Streitkräfte sind immer in Kampfbereitschaft“, zitierte ihn die Financial Times bereits im Mai. Auch damit präsentierte sich Russlands Präsident als vermeintliche Schutzmacht, während er dem Westen mit dem größten Atomwaffenarsenal drohte.
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„Gewalt an historischen Jahrestagen“
Sytins Kommentare deuteten auf eine Sehnsucht hin, die Sowjetunion wieder aufleben zu lassen. Das steht im harten Kontrast zu Putins öffentlichen Äußerungen, spiegelt aber weit verbreitete Spekulationen wider. Putin sei von der Geschichte besessen, betonte die US-amerikanische Historikerin Mary Sarotte bereits im Oktober gegenüber der Frankfurter Rundschau.
„Er hat während der Pandemie Artikel unter seinem Namen veröffentlicht, wie zum Beispiel über die Einheit von Russland und der Ukraine und zum Zweiten Weltkrieg. Als ich die Quellen studierte, bemerkte ich diese Besessenheit und das Muster, Gewalt an historischen Jahrestagen anzuwenden.“
Mary Sarotte
Der Vorfall um Sytin forderte eine Neubewertung der Motive hinter dem Ukraine-Krieg. Er gab Einblick in mögliche expansionistische Ziele des Kremls und verdeutlichte, dass Russland einen langfristigen Konflikt anstrebt, um die russische Kontrolle über besetzte Gebiete zu sichern. Die Episode zeigte zudem die Spannung innerhalb russischer Staatsmedien und die Herausforderungen für den Kreml, ein konsistentes Narrativ aufrechtzuerhalten.
Quellen: YouTube/Russian Media Monitor; Frankfurter Rundschau; Financial Times
Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.