US-Forschern ist es gelungen, einen Nanochip zu entwickeln, mit dem DNA in die Hautzellen lebender Organismen geschleust werden kann, wie der Kurier berichtete. Mit dieser Technik lassen sich kleine Teile der Haut in verschiedene andere Gewebearten umwandeln. So ist es den Forschern gelungen, Blutgefäße und Nervenzellen in der Haut von Mäusen zu züchten.
Versuche am Menschen im nächsten Jahr
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie innerhalb des kommenden Jahres auch erste Versuche an Menschen durchführen können. futurezone hat den Koautor der aufsehenerregenden Studie, Chandan Sen von der Ohio State University, gefragt, was das bedeutet. Die wichtigsten Antworten sind hier zusammengefasst:
Was kann der Nanochip?
Mit dem Chip lässt sich DNA in Hautzellen einschleusen, mit der man die betroffenen Zellen in andere Zellarten umwandeln kann. Das funktioniert am lebenden Patienten. Bisher haben die Forscher so bereits Blutgefäße und Nervenzellen erschaffen. „Grundsätzlich können wir die Hautzellen aber in jede Art von Zelle verwandeln“, sagt Sen im Gespräch mit futurezone. Die Technik erlaubt es also, die Haut als Bioreaktor zu nutzen, um Gewebe zu züchten, das etwa zur Reparatur von durch Alterung oder Verletzungen geschädigten Organen verwendet werden kann. Im Tierversuch wurde bei Mäusen die Durchblutung in ihren Beinen durch die Züchtung von Blutgefäßzellen in der Haut wiederhergestellt. Die Zellen haben dabei selbstständig Gefäße gebildet, die Blutzirkulation wurde so wieder hergestellt. In weiteren Experimenten konnten die Wissenschaftler auch braunes Fettgewebe und insulinproduzierende Zellen aus Hautzellen erschaffen.
Um was für einen Chip handelt es sich?
„Der Chip basiert auf Silizium, ist skalierbar und wird mittlerweile in kommerzieller Fertigung produziert. Für Mäuse ist er etwa fingernagelgroß, für Menschen wird er etwa halb so groß wie eine Kreditkarte sein. Die Herstellung ist sehr kostengünstig und erlaubt prinzipiell auch ein flexibles Design“, sagt Sen.
Sind alle Ziel-Gewebe gleich schwer zu realisieren?
„Ich glaube, wir können in dieser Richtung tun, was immer wir uns vorstellen können, auch wenn wir noch lange nicht alles ausprobiert haben. Dazu müssen wir nur die richtigen DNA-Faktoren finden. Mit Glück funktionieren aus dem Labor bekannte Rezepte zur Umwandlung in bestimmte Zelltypen auch in vivo. Das hat etwa bei Nervenzellen funktioniert. In anderen Fällen müssen neue Wege beschritten werden. Die Arbeit im Labor kann aber auf jeden Fall wertvolle Hinweise liefern. Einige Zellarten werden wohl zeitaufwändig sein“, sagt Sen.
Wie lange dauert die Behandlung?
Der Chip wird für maximal eine Sekunde auf die gewünschte Hautpartie gelegt. Das reicht aus, um die DNA in die Zellen zu schleusen. „Im Experiment sind die ersten Blutgefäße sieben bis zehn Tage nach der Behandlung entstanden. Unsere so erzeugten Nervenzellen haben etwa drei Wochen nach der Behandlung begonnen, zu feuern“, sagt Sen. Das Einschleusen der DNA, die die Umwandlung der Zellen anstößt, war in 90 bis 99 Prozent der Fälle erfolgreich.
Wie funktioniert der Chip?
Üblicherweise werden meist Viren genutzt, um DNA in Zellen zu schleusen. Das hat aber einige Nachteile, da dadurch Entzündungen entstehen können und das Risiko besteht, dass die Viren-DNA in das Genom des Patienten integriert wird. „Deshalb haben wir uns für Elektroporation entschieden, bei der die Zellmembran durch elektrische Felder geöffnet wird. Diese Methode haben wir so weit verfeinert, dass es nicht wie bislang üblich zum Tod eines Teils der Zellen kommt. Bei unserer Methode werden nur zwei Prozent der Oberfläche einer Zelle unter Strom gesetzt“, erklärt Sen. Das wird erreicht, weil der Nanochip über tausende winziger Nadeln verfügt, mit denen das elektrische Feld sehr gezielt appliziert werden kann. In die Nanonadeln sind winzige Kanäle eingelassen, durch die die elektrisch geladene DNA bei Anlegen des elektrischen Feldes in die Zellen wandert. Theoretisch könnten mit dieser Methode auch andere Moleküle, etwa RNA, in die Zellen transportiert werden.
Was ist die große Neuerung?
Durch die neue Methode wird es jetzt möglich, ganze Gewebe praktisch nach Wunsch im lebenden Organismus zu züchten. „Wir reden von einem Paradigmenwechsel: Von der Stammzelle hin zum Stammgewebe. Was wir erreicht haben, fand unter den komplexen Bedingungen im Körper statt, unter Aufsicht eines funktionierenden Immunsystems. Im Labor werden einzelne Zellen heute unter stark vereinfachten Bedingungen neu programmiert. Die gängige Annahme ist, dass das auch in Vivo so funktioniert. Hier kommt ein großes “aber”: Die meisten dieser Zellen sterben, wenn sie in den Körper verpflanzt werden. 98 bis 99 Prozent verschwinden spurlos. Unsere Methode liefert funktionierende Gewebe, direkt im Körper“, sagt Sen.
Warum wird der Chip auf der Haut angewendet?
Theoretisch würde die Technik auch an Muskeln oder Organen funktionieren, der Chip könnte etwa mit einem Endoskop in den Körper eingeführt werden. Die Haut hat aber mehrere Vorteile. „Wir wollten versuchen, Gewebe umzuwandeln und zwar dort, wo das Risiko gering ist: in der Haut. Statt eines Kollagengerüsts nutzen wir die Haut als Gerüst für unsere Gewebe. Wenn etwas schief geht, wäre nur ein kleines Stück Haut betroffen, da angrenzendes Gewebe nicht betroffen ist“, sagt Sen.
Zudem ist es oft gar nicht nötig, Zellen tiefer im Gewebe umzuwandeln. „Wir haben Mäuseföten im Mutterleib behandelt, damit aus Hautzellen Nervenzellen wurden. Diese haben wir fluoreszierend gemacht, um den Weg nachverfolgen zu können. Es hat sich gezeigt, dass die Nervenzellen von selbst in die Richtung wandern, in der sie gebraucht werden. Sie haben sich in diesem Fall in Richtung Rückgrat bewegt. Wir können sie an der Oberfläche erzeugen und dann wandern sie von selbst tiefer. Das wissen, solche Zellmigrationen bewusst zu steuern, fehlt uns heute allerdings noch. Wir haben auch schon in der Haut gezüchtete Nervenzellen ins Gehirn verpflanzt“, erklärt Sen.
Wie verwandeln sich die Zellen?
„Unsere Methode setzt auf direkte Umwandlung der Zellen. Es gibt keine Zwischenstufe“, sagt Sen. Der Prozess birgt aber noch einige Mysterien: „Als wir Nervenzellen schaffen wollten, fanden sich am Ende auch Gliazellen im behandelten Gewebe. Wir wissen nicht, wo die hergekommen sind“, sagt Sen.
Besteht in den veränderten Zellen ein höheres Krebsrisiko?
„Unsere Gewebeproben haben auch nach mehreren Monaten keine Entartungen gezeigt und die Nervenzellen feuern immer noch. In einer Studie möchten wir sogar untersuchen, ob die Technik nicht zur Bekämpfung von Tumorzellen genutzt werden kann. Da es zu keinen Infektionen und Entzündungen kommt und auch keine genomische Integration von Viren möglich ist, ist das Risiko für Krebs gering. Ein Nullrisiko gibt es – wie überall – nicht, aber wenn ein viraler Vektor den Risikofaktor 100 darstellt, schätze ich den Faktor unserer Methode auf kleiner als fünf“, sagt Sen. Eine verkürzte Lebensdauer der umgewandelten Zellen wurde bisher ebenfalls nicht festgestellt.
Wo sind die Grenzen der Technik?
„Die Limitierungen liegen in der geringen Verfügbarkeit von passenden DNA-Faktoren, die bestimmte Zellen entstehen lassen. Ganze Organe können wir auch nicht züchten, da diese aus verschiedensten Zelltypen bestehen und eine ganz bestimmte dreidimensionale Struktur besitzen. Das könnte einfacher zu realisieren sein, indem die Zellen aus dem Körper entnommen und dann weiterverwertet werden. Im Gehirn können wir nicht arbeiteten, da das elektrische Feld zu Komplikationen führen könnte. Die Spannung ist mit 250 Volt zu hoch, genau wie der Widerstand. Die Stromstärke bewegt sich im Bereich von Mikroampere“, sagt Sen.
Wann wird es erste Versuche an Menschen geben?
„Ich investiere bereits die Hälfte meiner Zeit für dieses Ziel und hoffe, dass wir schon innerhalb eines Jahres so weit sein werden. Erste Versuche könnten etwa an Beinen durchgeführt werden, die amputiert werden sollen. Jedenfalls werden wir zuerst mit Hautgewebe arbeiten. Später könnte etwa Fibrose, die zu Herzprobleme führen kann behandelt werden, indem Fibroblasten wieder in Herzmuskelzellen zurückverwandelt werden. Zu Anfang werden wohl die niedrig hängenden Früchte gepflückt, die mit wenig Risiko verbunden sind“, sagt Sen.
Wann wäre dann ein Einsatz als normale Behandlungsmethode denkbar?
Unser Ansatz ist völlig neu. Das bedeutet, dass die Zulassung durch die FDA (die US-Regulierungsbehörde, Anm.) wohl länger dauern wird.
Könnte statt neue DNA einzufügen auch DNA aus Zellen entfernt werden?
Man könnte die Technik – etwa in Zusammenspiel mit CRISPR – auch verwenden, um Änderungen am Genom vorzunehmen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf futurezone.at.