Ajay Agrawal ist Ökonom und Professor für Unternehmertum an der Rotman School of Management an der Universität Toronto. Er beschäftigt sich unter anderem mit den ökonomischen Grundlagen und Konsequenzen der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI). In seinem neuen Buch „Prediction Machines“ (noch nicht auf Deutsch erschienen) argumentiert er mit seinen Kollegen Joshua Gans und Avi Goldfarb, dass KI-Systeme die Welt so grundlegend verändern werden, wie es einst die Elektrifizierung oder in jüngerer Vergangenheit die Digitalisierung getan haben.
„KI ist nicht nur eine weitere Technologie. Sie ist ein allgemeines Werkzeug, das überall eingesetzt werden kann“, sagte Agrawal bei einem Vortrag in Toronto, dem die futurezone beiwohnte.
Rechnen wird billiger
Wie damals beim Aufbau der Stromnetze gebe es heute im Bereich KI viele Sorgen, vor allem was die Konsequenzen für Arbeitsplätze und das soziale Gefüge betreffe. Ökonomisch gesehen sieht Agrawal KI-Systeme als Kostenreduktionsfaktor. „Halbleiter haben dazu geführt, dass die Kosten für Arithmetik gesunken sind. KI wird dafür sorgen, dass die Kosten für Vorhersagen sinken. Wir haben im Zuge der Digitalisierung angefangen, Probleme so umzuformulieren, dass wir sie mit Arithmetik lösen konnten, etwa bei Fotos, Filmen oder in der Kommunikation. Durch KI werden wir anfangen, Probleme für Prognoselösungen zu optimieren, wie das beim Autofahren derzeit schon passiert. Wenn die Kosten für etwas sinken, dann nutzen wir mehr davon“, sagt der Ökonom.
Traditionelles Programmieren reicht nicht mehr
Konzepte für selbstfahrende Autos gebe es schon seit 30 Jahren, aber nur in strikt vorgegebenen Umgebungen. „Wenn wir mit traditionellen Methoden ein Auto programmieren müssten, nach dem Motto ‚Wenn die Kamera einen Menschen erkennt, dass musst du bremsen‘, würde das zu einer unendlichen Zahl von Wenn-Dann-Instruktionen führen. Erst die Umwandlung in ein Vorhersageproblem – nämlich ‚was würde ein guter menschlicher Fahrer tun‘ – hat hier die Lösung gebracht. Die KI bekommt Sensoren und erfasst damit die Umgebung. Dann lernt sie, wie Menschen fahren, sagt menschliches Verhalten vorher und reagiert entsprechend. Das Konfidenzintervall ist anfangs groß, aber mit der Zeit wird das System so gut wie ein Mensch“, sagt Agrawal.
Dieser Ansatz lässt sich auf eine Vielzahl von Problemen umlegen. „Eine Personalabteilung entscheidet, wer befördert werden soll oder welche Mitarbeiter behalten werden sollen. Das sind Vorhersageprobleme“, sagt Agrawal. Künstliche Intelligenz können überall dort, wo menschliche Prognosen eine Rolle spielen, einspringen. Der Schritt zwischen gegebenen Informationen und Handeln wird damit automatisiert. „Damit sinkt der Wert menschlicher Prognosen. Aber andere Elemente, wie die Beurteilung oder das tatsächliche Treffen von Entscheidungen werden wertvoller“, sagt der Ökonom.
KIs benötigen Input
Als Beispiel nennt Agrawal eine KI, die die Nachfrage nach verderblichen Gütern besser vorhersagen kann, als klassische Instrumente in Unternehmen. Die Vorhersage selbst hat dabei keinen Wert. Die Firmen, die über die Daten verfügen, mit denen eine KI solche Prognosen machen kann, sitzen auf dem eigentlichen Schatz. „Deshalb wird hart verhandelt werden, wem die Feedback-Daten aus der echten Welt, die das System lernen lassen, gehören“, sagt Agrawal. Bis sich KI-Innovationen auf die Produktivität auswirken, könnte es aber noch eine Weile dauern. „Bis sich der Einsatz von Computern auf die Produktivität der Volkswirtschaften niedergeschlagen haben, hat es lange gedauert. Bei der Elektrifizierung waren es dreieinhalb Jahrzehnte. Das lag daran, dass ganze Produktionsanlagen neu geplant werden mussten, weil elektrische Anlagen andere Anforderungen hatten“, sagt Agrawal.
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Amazon-Lieferung ohne Bestellung
Im Falle von KI muss auch die Prognosegenauigkeit noch weiter steigen. Wenn sie aber einen gewissen Schwellenwert erreiche, werde sie ganze Wirtschaftszweige auf den Kopf stellen. “ Amazons Empfehlungssystem hat heute eine Genauigkeit von vielleicht fünf Prozent. Eine von 20 Empfehlungen wird gekauft. Das reicht für Amazons Geschäftsmodell ‚Kunden kaufen, wir verschicken‘. Wenn die Genauigkeit aber sieben von zehn erreicht, dann rechnet es sich irgendwann, dieses grundlegende Modell zu ändern. Dann muss Amazon nicht mehr warten, bis Kunden bestellen. Dann heißt es ‚wir verschicken, Kunden kaufen‘. Das passiert, sobald die Kosten für die Bearbeitung der Retouren geringer sind als der Gewinn, der gemacht wird, wenn durch KI sechs statt zwei Stück eines Produkts verkauft werden können“, sagt Agrawal. Amazon experimentiere tatsächlich schon mit solchen Modellen.
Diese Auswirkungen auf Geschäftsmodelle seien so groß, dass niemand vor den disruptiven Folgen der Entwicklung der KI-Systeme gefeit sei. „Das wird ein Sputnik-Moment. So etwas passiert nur einmal pro Generation. Die Karten werden komplett neu gemischt. Die Frage ist nicht ob das passiert, sondern wann“, sagt Agrawal.
futurezone war auf Einladung der kanadischen Regierung in Kanada unterwegs.
Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.at