Ein Placebo ist ein pharmakologisch inertes Mittel, das als Kontrolle in klinischen Studien verwendet wird. Aufgrund des Placebo-Effekts ist eine solche Substanz aber dazu in der Lage, bei bestimmten kranken Personen eine positive Wirkung hervorzurufen. Dies funktioniert in der Regel aber nur dann, wenn diese nicht wissen, dass es sich nicht um ein tatsächliches Medikament handelt.
Placebo-Effekt: Wie weit reicht er?
Menschen, deren Schmerzen vergehen, weil sie ein Medikament nehmen, dass in Wahrheit gar keines ist: Das gibt es tatsächlich. Sie brauchen nur zu denken, in der eingenommenen Pille sei Morphin enthalten, und schon tritt das ein, was wir als Placebo-Effekt definieren. Ganze Versuchsreihen gibt es dazu und seither steht eines fest: Das Phänomen existiert, ist wissenschaftlich nachgewiesen und lässt sich sogar messen.
Damit basiert es nicht auf „Einbildung“, wie lange Zeit behauptet wurde, jedenfalls nicht nur. „Die psychologischen Schlüssel sind Erwartung und Lernvorgänge“, sagte Ulrike Bingel, Neurologin am Universitätsklinikum Essen im Interview. Sie ist Mitglied im Kompetenznetzwerk Placebo, zu dem sich Forscher aus der ganzen Welt zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: herauszufinden, was wirklich im Körper der Betroffenen passiert und wie diese am besten von den Erkenntnissen profitieren können.
Zwei Faktoren sind substanziell
Dass Erwartung und Lernvorgänge beim Placebo-Effekt eine Rolle spielen, ist entscheidend. Denn diese Erkenntnis, über die sich viele Forscher mittlerweile einig sind, bedeutet, dass nicht alles von der Einnahme des Medikaments selbst, sondern viel auch vom Gespräch mit dem Arzt abhängt. Wenn dieser eine Erwartungshaltung in seinem Patienten erzeugen kann, werden die Beschwerden wahrscheinlicher gelindert: „Diese Pille hilft ihnen garantiert gegen die Übelkeit, ich habe damit gute Erfahrungen gemacht“, könnte etwa der Arzt sagen.
Diese Erwartungshaltung kann laut Bingel aber auch durch einen Lernprozess entstehen: „Wenn mir Aspirin fünfmal gegen Kopfschmerzen geholfen hat, werde ich beim sechsten Mal wahrscheinlich auch dann eine Besserung verspüren, wenn das vermeintliche Aspirin ein Placebo ist.“
Das klingt alles logisch. Vollkommen verständlich ist der Placebo-Effekt trotz der Vielzahl an Versuchsreihen aber noch nicht. So wissen Forscher noch recht wenig darüber, wie genau die Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden. Aber sie haben Ahnungen.
Placebo-Effekt: Das macht er mit dem Körper
Was spielt sich im Körper von Patienten ab, die ein Placebo genommen haben? Um diese Frage zu beantworten, haben Forscher das Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT) genutzt, das zeigt, was sich im Gehirn nach der Gabe von Placebo-Tabletten oder anderen -Arzneien abspielt.
Die positive Erwartung, dass die Schmerzen gelindert werden, sorgt offenbar dafür, dass das körpereigene „absteigende schmerzmodulierende System“ angeschmissen wird. Hier greift die Evolution: In Extremsituationen wie der Flucht vor einem Angreifer ist unser Gehirn dazu fähig, auch heftige Schmerzen auszuschalten.
Zudem wiesen die Wirkmechanismen häufig Parallelen zur tatsächlichen Krankheit auf. So haben Studien gezeigt, dass sich die Schmerzlinderung von Placebos über körpereigene, morphiumähnliche Substanzen einstellen kann. Parkinson-Patienten etwa, denen es an dem Botenstoff Dopamin mangelt, haben durch den Placebo-Effekt genau diese Substanz im Gehirn ausgeschüttet.
Übrigens springen besonders Kinder gut auf den Effekt an. Für Eltern ist das gut zu wissen, schließlich kann ein Pusten schon dafür sorgen, dass sie aufhören zu weinen. Fun Fact: Gerade aus diesem Grund sei es Bingel zufolge aber auch schwer, echte Arzneien für Kinder offiziell zuzulassen. Sie müssen beweisen, dass sie besser wirken als ein Placebo.
Der Nocebo-Effekt: Das Ganze andersherum
Neben dem Placebo-Effekt gibt es noch den Nocebo-Effekt. Der Name verrät eigentlich schon alles: Nocebo ist das genaue Gegenteil von Placebo.
Das hat wieder mit der Erwartungshaltung des Patienten und mit seinem Lernprozess zu tun: Sagt ihm der Arzt, er habe mit einem bestimmten Medikament negative Erfahrungen gemacht, weil sie Übelkeit verursachen würden, wird sich der Patient sehr wahrscheinlich genau deshalb auch davon übergeben, selbst wenn es nur eine Zuckerpille war. Bei Patienten mit chronischen Krankheiten wirkt nach dem neunten erfolglosen Medikament sehr wahrscheinlich auch das zehnte nicht – eine selbsterfüllende Prophezeiung quasi.
Placebo-Effekt: Kein Mythos, aber es bleiben Fragen
Der Placebo-Effekt ist real und messbar. Es sind sogar Fälle von „Scheinoperationen“ bekannt, nach denen sich die Patienten noch ein ganzes Jahr lang besser fühlten. Entscheidend für den Erfolg des Effekts sind nach bisherigen Wissensstand zwei Faktoren.
Erstens die Erwartungshaltung des Betroffenen, die der behandelnde Arzt im Gespräch aktiv steuern kann und zweitens der Lernprozess des Patienten, also seine bisherige Erfahrung mit einem Medikament. Mit dem Phänomen könnte auch diese Geschichte von der Suche nach dem Jungbrunnen in Zusammenhang stehen.
Quelle: Bildungsministerium für Bildung und Forschung, eigene Recherche