In einem Höhlensystem im französischen Rhônetal haben Archäolog*innen Überreste einer bisher unbekannten Linie von Neandertaler*innen gefunden. Die Fossilien gehörten zu einer Population, die sich vor etwa 100.000 Jahren von anderen abspaltete und über 50.000 Jahre isoliert lebte. Dieser sensationelle archäologische Fund liefert neue Erkenntnisse darüber, wie unterschiedlich die späten Neandertaler*innen strukturiert waren.
Archäologischer Fund gibt Aufschluss über Leben der Neandertaler*innen
Der beim archäologischen Fund entdeckte Neandertaler, der den Spitznamen „Thorin“ nach der Figur aus Tolkins „Der Hobbit“ erhielt, lebte vor etwa 42.000 bis 50.000 Jahren. DNA-Analysen zeigen, dass seine genetischen Wurzeln auf eine noch frühere Zeit zurückgehen, die vor über 100.000 Jahren liegt. Die Populationsgenetikerin und Erstautorin der Studie, Tharsika Vimala von der Universität Kopenhagen erklärt in einer Pressemitteilung: „Bisher galt die Ansicht, dass es zum Zeitpunkt des Aussterbens nur eine genetisch homogene Neandertalpopulation gab, aber jetzt wissen wir, dass es mindestens zwei Populationen gab.“
Das Interessante an diesem archäologischen Fund ist die völlige Isolation von Thorins Gruppe. Obwohl sie nur wenige Tagesmärsche von anderen Neandertaler*innen entfernt lebten, gab es wohl über 50.000 Jahre keinen Kontakt oder genetischen Austausch zwischen den Gruppen. „Das wäre für einen Sapiens unvorstellbar und zeigt, dass Neandertaler unsere Welt biologisch ganz anders wahrgenommen haben müssen als wir Sapiens.“, sagt der Archäologe Ludovic Slimak, der Thorins Überreste entdeckte. Diese Isolation könnte eine entscheidende Rolle für das spätere Aussterben der Neandertaler gespielt haben.
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Isolation führt zum Aussterben
Die Forscher*innen sehen in dem archäologischen Fund einen möglichen Schlüssel zum Verständnis ihres Aussterbens. Isolierte Gemeinschaften wie diese sind oft anfälliger für Krankheiten und haben weniger genetische Vielfalt, was die Anpassungsfähigkeit an klimatische Veränderungen beeinträchtigen kann. „Für eine Population ist es immer gut, mit anderen in Kontakt zu sein“, betont Vimala, um Überleben und Entwicklung zu sichern.
„Wenn wir uns diese Genome von Neandertaler ansehen, sehen wir, dass sie stark durch Inzucht geprägt sind und daher keine große genetische Vielfalt aufweisen. Sie leben seit vielen Generationen in kleinen Gruppen. Wir wissen, dass Inzucht die genetische Vielfalt in einer Population verringert, was sich auf längere Sicht nachteilig auf ihre Überlebensfähigkeit auswirken kann“, führt Martin Sikora vom Globe Institute in einer Pressemeldung der Universität Kopenhagen weiter aus.
Auch klimatische Veränderungen hatten wohl Einfluss auf Thorins Leben. Eine Isotopenanalyse seiner Knochen zeigte, dass er während der Eiszeit lebte, was ihn als „späten Neandertaler“ einordnet. Trotz dessen weist Thorins Genom eine überraschende Ähnlichkeiten mit älteren Neandertaler*innen auf. Der Genetiker Martin Sikora vermutet, dass Thorins Vorfahr*innen ursprünglich aus dem Mittelmeerraum kamen und in Richtung Rhônetal migrierten. Weitere Studien könnten noch mehr solcher archäologischen Funde im Zusammenhang mit isolierten Populationen ans Licht bringen.
Quellen: „Long genetic and social isolation in Neanderthals before their extinction“ (Cell Genomics, 2024), Cell Press, Universität Kopenhagen
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