Im Jahre 1845 begab sich der renommierte britische Entdecker Sir John Franklin auf seine letzte und wohl tragischste Expedition, die durch die gefürchtete Nordwestpassage führte. Diese Reise endete in einer Tragödie und hinterließ bis heute ein ungelöstes Geheimnis für Wissenschaftler*innen weltweit. Begleitet von einer Crew bestehend aus 129 Männern geriet Franklins Expedition in den eisigen Gewässern der kanadischen Arktis in große Schwierigkeiten, die letztendlich zum Verlust aller Crewmitglieder führten. Ein kürzlich entdeckter archäologischer Fund enthüllt nun neue Erkenntnisse über das Schicksal der Mannschaft und wirft ein bewegendes Licht auf ihre letzte Reise.
Archäologischer Fund: Forschende gehen von Kannibalismus aus
Die Forscher*innen konnten mithilfe von DNA-Analysen die Überreste des 1. Offiziers der HMS Erebus, James Fitzjames, identifizieren. Fitzjames ist damit erst das zweite Mitglied der gesamten Franklin-Expedition, dessen Identität sich auf diese Weise nachgewiesen wurde. Seine Überreste befanden sich nahe dem Wrack der HMS Erebus, das 2014 entdeckt worden war. Die Identifizierung von Fitzjames ist ein bedeutender Durchbruch in den Bemühungen, die Mitglieder der Expedition zu identifizieren und ihre letzten Tage zu rekonstruieren. Ihre Erkenntnisse rund um den archäologischen Fund veröffentlichten die Forschenden im Fachmagazin Journal of Archaeological Science.
Besonders verstörend ist die Entdeckung von Schnittwunden an den Knochen von James Fitzjames. Diese Verletzungen, insbesondere am Unterkiefer, könnten darauf hindeuten, dass er möglicherweise Opfer von Kannibalismus wurde. Dieses düstere Kapitel der Expedition war lange Zeit Gegenstand von Spekulationen. Berichte aus dem 19. Jahrhundert deuteten bereits auf Kannibalismus hin, wurden jedoch von vielen westlichen Historiker*innen als übertrieben abgetan. Nun könnten der aktuelle archäologische Fund diese Vermutungen unterstützen.
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Hoffnungslose Situation
Der Fund von Fitzjames und die Hinweise auf Kannibalismus geben einen weiteren Einblick in die verzweifelten letzten Tage der Expedition. Die Männer der Franklin-Expedition waren monatelang in der eisigen Einöde gefangen, ohne Nahrung und mit kaum einer Chance auf Rettung. Historiker*innen vermuten, dass die Vorräte zur Neige gingen und das harsche Klima die Gesundheit der Männer schwächte, was sie schließlich zu extremen Maßnahmen trieb. Die Vorstellung, dass Offiziere wie Fitzjames in dieser verzweifelten Lage keine Ausnahme von diesen schrecklichen Taten waren, zeigt, wie hoffnungslos die Lage gewesen sein muss.
Die Überreste der Franklin-Expedition wurden über viele Jahre hinweg entdeckt. Neben den beiden Wracks, die 2014 und 2016 entdeckt wurden, fanden Forscher*innen immer wieder Leichen und Artefakte, die zur Rekonstruktion des tragischen Schicksals der Expedition beitrugen. Mit jedem neuen archäologischen Fund vervollständigt sich also das Bild einer der größten Tragödien der Polarforschung.
Quelle: „Identification of a senior officer from Sir John Franklin’s Northwest Passage expedition“ (2024, Journal of Archaeological Science), eigene Recherche
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