Eine erstaunliche Entdeckung in der Vanguard-Höhle in Gibraltar wirft ein neues Licht auf die Fähigkeiten der Neandertaler. Denn Forscher*innen fanden dort eine rund 60.000 Jahre alte Grube, die offenbar als Feuerstelle diente, um Teer aus Pflanzenharz zu gewinnen. Dieser archäologische Fund zeigt, dass unsere ausgestorbenen Verwandten weit komplexere Techniken beherrschten, als lange angenommen wurde.
Archäologischer Fund: Nachbildung bringt Erkenntnisse
Die Feuerstelle, entdeckt in der UNESCO-Welterbestätte Gorham’s Cave Complex, könnte speziell entwickelt worden sein, um Harz von Zistrosenpflanzen (Cistus ladanifer) in Teer umzuwandeln. Diese Technik soll nicht nur nützlich für Werkzeuge gewesen, sondern auch ein Indiz für erstaunliche kognitive Fähigkeiten sein. Die Forscher*innen führten chemische Analysen durch und fanden Hinweise auf verbranntes Pflanzenmaterial, Holzkohle und Harzreste. „Aus diesem Grund kann man sagen, dass es unerwartet war“, erklärte der Hauptautor der Studie und Biologe an der Universität Murcia, Juan Ochando gegenüber dem Discover Magazin.
Um die Hypothese zu testen, rekonstruierten die Wissenschaftler*innen die prähistorische Feuerstelle. Sie füllten eine Grube mit Zistrosenblättern, bedeckten sie mit Sand und Erde und entzündeten ein Feuer darüber. Nach mehreren Versuchen gelang es, genug Teer zu produzieren, um Steinspitzen an Holzspeeren zu befestigen. Der Prozess erforderte Schnelligkeit und Präzision, da die heißen Blätter zügig verarbeitet werden mussten, erklärte Francisco Jiménez-Espejo, Co-Autor der Studie.
Waren Neandertaler fortgeschrittener als wir dachten?
Dieser archäologische Fund widerlegt die Vorstellung von Neandertalern als primitiv. „Unsere ausgestorbenen Cousins waren nicht die verrohten Menschen, die man sich vorstellt“, betont Fernando Muñiz von der Universität Sevilla gegenüber SciTechDaily. Die Herstellung von Teer zeigt, dass sie Feuer kontrollieren und chemische Prozesse verstehen konnten. Solche Fähigkeiten erforderten Planung, Organisation und Zusammenarbeit – Eigenschaften, die zuvor eher Homo sapiens zugeschrieben wurden.
Die Wahl der Zistrose ist kein Zufall. Das Harz dieser Pflanze wurde bis ins 20. Jahrhundert als Labdanum in Parfums und Medizin verwendet. Die Methode der Neandertaler zur Harzgewinnung erinnert an spätere Techniken, was auf eine frühe Weiterentwicklung von Technologien hindeutet.
Obwohl der archäologische Fund viele Erkenntnisse liefert, bleibt Raum für weitere Forschung. „Meine größte Neugier ist nun, ob sie an der Fundstelle Rückstände auf Steinwerkzeugen finden können, die den physikalischen und chemischen Signaturen des Zistrosenteers entsprechen“, sagt Archäologe Andrew Sorensen von der Universität Leiden, der nicht an der Studie beteiligt war gegenüber Science News. „Ich denke, das würde dazu beitragen, die letzten Skeptiker zu besänftigen“. Der Fund in Gibraltar eröffnet zudem die Möglichkeit, ähnliche Strukturen an anderen Fundorten zu identifizieren und die Geschichte der Neandertaler weiter zu entschlüsseln.
Quellen: „A Neanderthal’s specialised burning structure compatible with tar obtention“ (2024, Quaternary Science Reviews); Discover Magazin, SciTechDaily, Science News
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